

Lieblingsgedichte
Dornröschen
(Dornröschen wird ausgesprochen wie in Frösche also nicht wie in rös-chen)
Mit Küssen, mit kecken
Dornröschen zu wecken
schlich sich Dorn für Dorn
ein Prinz nach vorn
durch einen Rosenwald
"Dornröschen, halt aus, denn ich komme bald"
"Ja!" rief
die Maid, die schlief
im Traume tief
"mich zu erlösen
aus dem bösen
Bann
schöner Mann
komm an"
Jahre vergingen
Der Sommer kam, der Herbst, er wich
der Winter wieder nahte sich
der Frühling
ging
So sehr sich der in Liebe erglühte
Prinz die Dornen zu köpfen bemühte
bemühten sich die durch einer Hexe
bösen Fluch gewachsenen Gewächse
den Weg zu Dornröschen nicht freizugeben
Im Kampf verging des Prinzen Leben
Erstochen, erstickt, resigniert
Und er war nicht der Erste, dem das passiert
Gerippe neben Gerippe lagen
sie alle, die es wagen
wollten, Dornröschen zu befrein
Sieh dort, zwischen
den Rosenbüschen
tote Königssöhne in Scharen
die allesamt gescheitert waren
tot, tot, tot
Dornröschen in bitterer Not
wälzte sich auf ihrem Lager
wurde mager
verlor an Gewicht
sie aß ja nicht
schlief ja nur
in einer Tour
na, wurde eben dünner, die schöne Maid
nach des Wartens langer Zeit
Was krabbelt da so sonderbar?
Zurück! Was willst du von Dornröschen?
Sie rief nach Prinzen, nicht nach Fröschen
Hinfort, du nasses Krötentier
dies ist ein ander Märchen hier
Oh, diese Dornen, diese spitzen
werden dir den Leib aufritzen
Der Lurch
kommt durch
hopst in aller Ruhe, ganz gemach
in Dornröschens Schlafgemach
Hopst aufs Bett, krabbelt zum Gesicht
man glaubt es nicht
als wäre der Frosch intelligent
als ob er weiß, genaustens kennt
kriecht er an der Seite, vorbei an den Rippen
hoch zu Dornröschens süßen Lippen
Ach so, das ist der Grund
es sitzt eine Fliege auf ihrem Mund
und putzt sich, macht sich fein
Fliege, das könnte dein Ende sein
Schschsch, die Zunge saust aus dem Frosch heraus
ein kurzes Kleben, dann ist es aus
Dornröschen erwacht
"Uah! Wer wars?
Wer hat ein End gemacht
dem Schlaf, dem langen,
dem ich verfangen?
Wer ist der königliche Junge,
der mich erköst mit seiner Zunge?
Der Galan, der schlimme?"
"Quak", ertönt des Frosches Stimme
"Quak? Der Himmel ewger Gnad
Ihr Götter, nein!
Warst du das grade?
Hast du mich wachgeküsst?
Mutter, Vater, mir ist ein Frosch erschienen, mich zu befrein"
Durch des Schlosses Hallen drang der Jungfrau Schrein
Alle erwachten
wurden wach
von dem Krach
und freuten sich nicht wenig
"Dornröschen", sprach der König
"es tut mir leid
der Frosch hat nicht nur dich, er hat auch mich befreit
Und alle hier"
"Vater! Der Frosch ist ein Tier!
Ich hör wohl nicht richtig"
"Das, mein Kind, ist nicht wichtig
Ob ein Prinz kommt angeritten
ein Bauerssohn herbei geschritten
oder ein Frosch kommt angekrochen:
Versprochen ist versprochen"
Und die Königin, die strickte,
nickte
"Nein", rief Dornröschen
"ich ekle mich vor Fröschen.
Heiraten? So eine beliebige
herbeigelaufene Amphibie?
Ich töte
die Kröte"
Sprachs, nahm den Frosch in die Hand
und warf ihn mit aller Kraft an die Wand
Ein Knall, Gespritz
und vor Dornröschen stand
ein wunderschöner junger Mann
der schaute die Maid zornig an
"Die Dame ist sich wohl zu fein
einen Frosch zu frein?
Dann bist du für mich und meine Nächte
auch nicht die Rechte
Ausserdem - ich wollte sowieso nur die Fliege"
sprach der Jüngling, wandte sich ab sogleich
und hopste zurück zu seinem Teich
Und die Moral von der Geschicht:
ich.....weiß es nicht
Dornröschen jedenfalls hat ihre Entscheidung bereut
und wenn sie nicht gestorben ist, bereut sie sie noch heut
Geht heimlich des nachts zum Teich, einen Frosch zu fangen
nimmt ihn in die Hände
geht zurück zum Schloss und wirft ihn voller Hoffnung gegen die Wände
Ansonsten ist nichts passiert
vierteljährlich wird das Zimmer neu tapeziert
So ist das eben
wie im Märchen, so im Leben
Manche Liebesgeschichten enden
mit Flecken an den Wänden
(Friedhelm Kändler)
Christian Morgenstern
Der Werwolf
Ein Werwolf eines Nachts entwich
von Weib und Kind, und sich begab
an eines Dorfschullehrers Grab
und bat ihn: Bitte, beuge mich!
Der Dorfschulmeister stieg hinauf
auf seines Blechschilds Messingknauf
und sprach zum Wolf, der seine Pfoten
geduldig kreuzte vor dem Toten:
»Der Werwolf«, – sprach der gute Mann,
»des Weswolfs« – Genitiv sodann,
»dem Wemwolf« – Dativ, wie man's nennt,
»den Wenwolf« – damit hat's ein End'.
Dem Werwolf schmeichelten die Fälle,
er rollte seine Augenbälle.
Indessen, bat er, füge doch
zur Einzahl auch die Mehrzahl noch!
Der Dorfschulmeister aber mußte
gestehn, daß er von ihr nichts wußte.
Zwar Wölfe gäb's in großer Schar,
doch „Wer“ gäb's nur im Singular.
Der Wolf erhob sich tränenblind –
er hatte ja doch Weib und Kind!
Doch da er kein Gelehrter eben,
so schied er dankend und ergeben.

Mathias Gryphius
Es ist alles eitel
Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden;
Was jetzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.
Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten,
Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder find't!
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.
Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs
Sonette find ich sowas von beschissen,
so eng, rigide, irgendwie nicht gut;
es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen,
daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut
hat, heute noch so'n dumpfen Scheiß zu bauen;
allein der Fakt, daß so ein Typ das tut,
kann mir in echt den ganzen Tag versauen.
Ich hab da eine Sperre. Und die Wut
darüber, daß so'n abgefuckter Kacker
mich mittels seiner Wichserein blockiert,
schafft in mir Aggressionen auf den Macker.
Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert.
Ich tick es echt nicht. Und will´s echt nicht wissen:
Ich find Sonette unheimlich beschissen
Robert Gernhardt
Es saßen am Ufer des Indus
Drei philosophierende Hindus
Ihr Problem war fatal
Denn sie fragten voll Qual:
"Bist ich es, sind er's oder bin du's?"
(Schobert und Bläck)
Ein Bösewicht aus Alicante
Erschlug mit dem Beil seinen Onkel
Er bestieg nach dem Mord
Einen klapprigen Opel
Und floh in die Gegend von Zypern
Ich sah einen Anschlag in Princeton:
"Geh hier um die Ecke, da finceton"
Und als ich ihn fand
Gab ich ihm die Hand –
Wir sahen uns an und wir grinceton . . .
Ene ältere Dame in Bautzen
Tat nichts alsdn Gatten anschnauzen
Doch se hat sich gewandelt
Wenner nu unrecht handelt
Dann saachtse nichts mehr, dann hautsen
Ein Bergsteiger aus der Biscaya
Der wollte auf den Himalaya
Als er in Lhasa
Das Ding von nah sah
Da sagte er leise: "Au weia . . .!"
Theodor Fontane (1819 - 1898)
Die Brück' am Tay
When shall we three meet again (Shakespeare: Macbeth)
»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«
»Um die siebente Stund', am Brückendamm.«
»Am Mittelpfeiler.« »Ich lösche die Flamm'.«
»Ich mit.«
»Ich komme vom Norden her.«
»Und ich von Süden.«
»Und ich vom Meer.«
»Hei, das gibt ein Ringelreihn,
Und die Brücke muß in den Grund hinein.«
»Und der Zug, der in die Brücke tritt
Um die siebente Stund'?«
»Ei der muß mit.«
»Muß mit.«
»Tand, Tand,
Ist das Gebilde von Menschenhand.«
Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut', ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu,
Sehen und warten, ob nicht ein Licht
Übers Wasser hin »ich komme« spricht,
»Ich komme, trotz Nacht und Sturmesflug,
Ich, der Edinburger Zug.«
Und der Brückner jetzt: »Ich seh einen Schein
Am anderen Ufer. Das muß er sein.
Nun Mutter, weg mit dem bangen Traum,
Unser Johnie kommt und will seinen Baum,
Und was noch am Baume von Lichtern ist,
Zünd' alles an wie zum heiligen Christ,
Der will heuer zweimal mit uns sein, -
Und in elf Minuten ist er herein.«
Und es war der Zug. Am Süderturm
Keucht er vorbei jetzt gegen den Sturm,
Und Johnie spricht: »Die Brücke noch!
Aber was tut es, wir zwingen es doch.
Ein fester Kessel, ein doppelter Dampf,
Die bleiben Sieger in solchem Kampf,
Und wie's auch rast und ringt und rennt,
Wir kriegen es unter: das Element.«
»Und unser Stolz ist unsre Brück';
Ich lache, denk ich an früher zurück,
An all den Jammer und all die Not
Mit dem elend alten Schifferboot;
Wie manche liebe Christfestnacht
Hab ich im Fährhaus zugebracht,
Und sah unsrer Fenster lichten Schein,
Und zählte, und konnte nicht drüben sein.«
Auf der Norderseite, das Brückenhaus -
Alle Fenster sehen nach Süden aus,
Und die Brücknersleut' ohne Rast und Ruh
Und in Bangen sehen nach Süden zu;
Denn wütender wurde der Winde Spiel,
Und jetzt, als ob Feuer vom Himmel fiel',
Erglüht es in niederschießender Pracht
Überm Wasser unten ... Und wieder ist Nacht.
»Wann treffen wir drei wieder zusamm'?«
»Um Mitternacht, am Bergeskamm.«
»Auf dem hohen Moor, am Erlenstamm.«
»Ich komme.« »Ich mit.«
»Ich nenn euch die Zahl.«
»Und ich die Namen.«
»Und ich die Qual.«
»Hei! Wie Splitter brach das Gebälk entzwei.«
»Tand, Tand,
Ist das Gebilde von Menschenhand.«








Die Kugeln
Palmström nimmt Papier aus seinem Schube.
Und verteilt es kunstvoll in der Stube.
Und nachdem er Kugeln draus gemacht.
Und verteilt es kunstvoll, und zur Nacht.
Und verteilt die Kugeln so (zur Nacht),
daß er, wenn er plötzlich nachts erwacht,
daß er, wenn er nachts erwacht, die Kugeln
knistern hört und ihn ein heimlich Grugeln
packt (daß ihn dann nachts ein heimlich Grugeln
packt) beim Spuk der packpapiernen Kugeln...
Christian Morgenstern




Deutung eines allegorischen Gemäldes
Fünf Männer seh ich
inhaltsschwer -
wer sind die fünf?
Wofür steht wer?
Des ersten Wams strahlt
blutigrot -
das ist der Tod
das ist der Tod
Der zweite hält die
Geißel fest -
das ist die Pest
das ist die Pest
Der dritte sitzt in
grauem Kleid -
das ist das Leid
das ist das Leid
Des vierten Schild trieft
giftignass -
das ist der Hass
das ist der Hass
Der fünfte bringt stumm
Wein herein -
das wird der
Weinreinbringer sein.
Robert Gernhard


