
Zopf und Rike und die Schweine aus dem Weltraum
Das fünfundzwanzigste Kapitel, in welchem eine kleine Idee auf den Weg an die frische Luft darf
"Na gut," dachte Rike, "dann machen wir mal eine Stadtführung durch die Fantasie." Sie konnte nichts sehen und ein bisschen fürchtete sie auch, jeden Augenblick von den Soldaten angehalten zu werden. Da sie aber jetzt nichts daran ändern konnte, lenkte sie sich mit ihren eigenen Bildern im Kopf ab. In Gedanken erschuf sie ein völlig neues Bild der Rabenburg, vielleicht eines, welches wahr werden könnte, wenn ein Freund der Menschen und nicht einer des Geldes in der Burg regieren würde. In ihren Gedanken lies sie sich also über saubere Plätze mit vielen Bäumen und Bänken tragen. Überall saßen Frauen und Männer, die sich unterhielten. In den hellen Werkstätten wurde geschmiedet und gehämmert, gesägt, gebacken und gekocht. Das große Haus mit den vielen Fenstern, an dem sie sich gerade vorbei dachte, musste das Rathaus sein. Hier sorgte man wohl dafür, dass alles funktionierte, was funktionieren musste. Kluge Frauen und Männer kümmerten sich darum, dass nicht nur in der Burg die Stimmung gut war, sondern, dass auch Menschen außerhalb der Rabenburg gerne ihre Nachbarn waren. Dann sah sie in ihrem Kopf die gepflegten Wohnhäuser mit den Blumengärten davor. Dort wo die Häuser nicht so dicht zusammen standen, konnte man durch die Lücken sehen, das dahinter Gärten waren, mit Obstbäumen und Gemüsebeeten. Manchmal sah sie auch kleine Hühnerställe. Mitten in der Siedlung gab es ein Krankenhaus mit sauberen Betten und netten Ärztinnen und Krankenpflegern. Viele Hecken und Wiesen waren drumherum angelegt und ganz unterschiedliche Vögel zwitscherten in diesem kleinen grünen Paradies. Eine bunt bemalte Schule stand in einem Park nebenan. Dort wechselten sich Wiesen, Büsche und Bäume ab und auch hier gab es Gemüsebeete. Vielleicht macht hier sogar das lernen Spaß, dachte sie. Jetzt gingen ihre Gedanken an einem kleinen Dorfteich vorbei spazieren, mit alten knorrigen Bäumen drumherum. "Sehr klug," dachte sie, "wenn man mitten in der Burg einen Teich anlegt. Dann ist es im Sommer schön kühl und im Winter kann man Schlittschuhlaufen. Vielleicht hat sich ja Ärwin hier versteckt." Und mit diesem letzten Gedanken steckte sie wieder in ihrem muffigen Teppich und damit in der wirklichen Rabenburg fest. "Ach," dachte sie, "jetzt habe ich mir vor lauter Sehnsucht einfach Schloss Galdusar vorgestellt. Wer weiß, wie es da jetzt aussieht." Aber als das Geschaukel kurz darauf aufhörte und Rike endlich wieder was sehen konnte, blinzelte sie erstmal und sah fast gar nichts. Lida hatte sie in einen dunklen Raum geschleppt und dann die Decke wieder geöffnet. Rike musste sich erstmal an das Zwielicht gewöhnen. Jetzt galt es, Pläne zu schmieden, wie sie ihre Freunde befreien könnte. Sie hoffte, dass Gustav und Zopf anständig behandelt wurden, aber sicher war das ganz und gar nicht. Außerdem fragte sie sich schon wieder, ob Ärwin auch gefangen worden war und wenn nicht, wo er sich diesmal versteckte. Bestimmt nicht in ihrem Gedankenteich. Auch um Sir William müsste sie sich kümmern, obwohl der wahrscheinlich bei einem der Bauern, die ihren Hof vor der Rabenburg hatten, im Stall gelandet war. Wahrscheinlich liegt Ärwin in irgendeinem Versteck und schläft, dachte sie. Da hatte sie allerdings sehr falsch gedacht, wie ihr im nächsten Kapitel lesen könnt.
Bei all den Gedanken, die Rike hatte, war auf einmal auch eine kleine verwegene Idee dabei. Die versteckte sich jedoch im großen Gedankengewirr und durfte noch nicht raus. Denn eigentlich hatten sie ja schon bevor sie sich auf die gefährliche Rettungsmission begeben hatten, damit gerechnet, dass es nicht einfach würde und genau so war es jetzt gekommen. Und Rike grübelte weiter: Ihre Rettungsaktion hatte mit einem ganzen Team begonnen. Da waren die fünf Pomponeller mit ihrer tollen Technik. Dann waren da Gustav und Zopf, der eine ein kluger Denker und Lehrer, der andere ein begabter Erfinder und Bastler und außerdem ihr bester Freund. Nicht zu vergessen: Sir William und Ärwin. Zu zehnt waren sie losgezogen und jetzt war sie ganz alleine übriggeblieben. Hoffentlich sind die Pomponeller bald da, sonst muss ich alles alleine machen, überlegte sie. Sie hatte wohl schon einiges von dem pomponellischen Draufgängertum verinnerlicht. Aber so war es bisher ja auch meistens gewesen. Sie machte etwas, vielleicht mit Zopf gemeinsam, oder alleine oder mit anderen Freunden und immer war es gut gegangen. Und wenn es dann doch schon mal schief ging, dann war da ihre Mutter oder ihr Vater und die hatten dann geholfen. Jetzt waren ihre Eltern im Verlies gefangen und sie vertraute darauf, dass die Pomponeller zur Hilfe kämen, wenn es nötig wäre. Sie beobachteten ja gewiss alles was hier passierte mit ihrer tollen Technik und könnten im Notfall sofort da sein - hoffte sie. In Wirklichkeit waren die Pomponeller immer noch unterwegs im fernen Weltall, denn die Kette um Rikes Hals hatte noch kein Gefahrensignal gegeben. In spätestens fünf Stunden könnten Kol und Vol und die anderen wieder in der Rabenburg sein. Das, so meinten die Pomponeller, sollte wohl locker ausreichen.
"Durchsucht die ganze Burg. In spätestens einer Stunde möchte ich sie mit den anderen Beiden im Kerker sehen!" Das war das letzte, was Rike gehört hatte und jetzt waren sicher schon zwanzig Minuten davon vergangen. "Wo sind wir hier? Werden die Soldaten uns nicht bald finden?" fragte sie neugierig ihre neue Freundin. "Nein," sagte Lida, "finden werden sie uns nicht. Aber wir können natürlich nicht rausgehen. Da werden wir sofort gefunden." "Aber das geht nicht!" - Rike war sehr enttäuscht. "Wie soll ich denn meine Freunde und meine Eltern befreien, wenn ich nichts machen kann. Hier hilft nur ein neuer Plan." In ihrem Kopf klopfte die verrückte Rettungsidee an und wollte raus. Noch war es aber nicht so weit, Rike traute sich noch nicht, diese Idee zu akzeptieren.
Und deshalb überlegten die beiden Kinder lange, was zur Befreiung nötig sei. Sie dachten über vertrauensvolle Helfer nach, sie mutmaßten, wie sie in den Kerker kommen könnten und woher die Pomponeller, wenn sie bald wiederkommen würden, wissen könnten, wo sie gebraucht würden. Das war ja sehr kompliziert. Und so viele Fragezeichen. Aber wenn man es nicht wagen würde, dann würde auch nichts passieren und sie würden alle im Kerker schmachten müssen. Die kleine tollkühne Idee in ihrem Kopf klopfte immer lauter gegen ihren Schädel und endlich ließ Rike ihren Plan raus: "Wir müssen uns fangen lassen, damit wir aus dem Inneren des Kerkers heraus alle befreien können. Aber dafür müssen natürlich einige Sachen vorbereitet werden." Lida machte große Augen. "Du spinnst wohl," platzte es aus ihr heraus. Diese Meinung störte Rike nicht im Geringsten und sie begann, ihre Idee zu erklären: "Ich muss einige Dinge, die wir mitgebracht haben, in den Kerker mitnehmen. Du darfst dich natürlich nicht fangen lassen, denn du must unseren Freund Ärwin finden und mit ihm gemeinsam die Rettung unterstützen. Ach und Sir William muss wohl auch seinen Teil zur Befreiung beitragen."
Lida hatte jetzt gar keine Vorstellung davon, was Rike meinte und deshalb beschrieb Rike ihr, wie sie Ärwin und Sir William erkennen könnte. "Ein Schwein und ein Fisch sind deine Helfer? Und mit dieser unmöglichen Truppe willst du das Unmögliche erreichen?" Das Mädchen aus der Rabenburg konnte nicht glauben, was die kleine mutige Prinzessin gerade sagte.
"Die sind alle verrückt oder tollkühn. Aber sie sind jetzt unsere Chance zum Besseren," dachte Lida - und begann zu überlegen, wie sie die benötigten Dinge aus dem Wahrsagerwagen besorgen könnte.
zum sechsundzwanzigsten Kapitel:
