
Zopf und Rike und die Schweine aus dem Weltraum
Das dritte Kapitel, in welchem die große Kathedrale von Pimpampom mit ihrer imposanten Glocke recht mickrig erscheint
Ihr kennt doch alle diese Schweizer Taschenmesser, bei denen man immer und immer mehr Werkzeuge ausklappen kann und die trotzdem so klein sind, daß sie in fast jede große Hosentasche passen. An denen ist ein normales Messer dran, natürlich. Und eine Säge. Und ein kleines Messer und ein Flaschenöffner mit Schraubendreher. Und noch eine Säge, eine Lupe, eine Pinzette. Und wenn man ganz stolz sein Messer einer Freundin zeigt und damit angeben will, dann hat die auch so eins und klappt außerdem noch eine Zange aus und einen Zahnstocher, eine Schere und ein Lineal. Und der nächste hat daran noch einen Bleistift, einen Kugelschreiber und einen Korkenzieher.
So viele Dinge an einem Gerät kann man sich fast gar nicht vorstellen.
So etwas gibt es auch in elektrisch: ein Händy, mit dem man auch fotografieren kann, Fernsehen gucken und sogar telefonieren. Und der nächste hat eins, mit dem er das alles beim Tauchen bis fünfzig Metern Tiefe machen kann und dabei außerdem die Temperatur messen, Musik hören, eine Taschenlampe ausfahren und die Uhrzeit in Timbuktu genau bestimmen kann.
So etwas und noch was viel Besseres hatten unsere pomponellischen Schweine-Astronauten auch. Die Landekapsel von Kol und Vol war so ein Gerät. Damit konnte man alles machen, was man wollte. Sie hatte für jeden Einsatz die richtige Ausrüstung. Sie konnte fliegen – natürlich. Aber auch tauchen. Sie war gepanzert gegen Meteoriteneinschlag und hatte einen Strahlenabwehrschutzschirm. Ein Radargerät zeigte auf einem Bildschirm, was hinter dicken Mauern verborgen war und mit der Ausrüstung an Bord konnte man Wasser pumpen, Steine bewegen, blitzschnell fliehen und die Nacht erleuchten. Deshalb hatten Kol und Vol keinerlei Bedenken, dass irgendetwas schief gehen könnte. Mit ihrem Supermaschinchen wollten sie die Erde schon retten.
Schweizer Taschenmesser sind sehr gut, wenn man sie dabei hat. Weniger gut ist, wenn man eines braucht, es aber aus Versehen zu Hause vergessen hat. Oder wenn man es verloren hat. Aber am allerschlimmsten ist es, wenn man es ganz nötig braucht und auch weiß, wo es ist, man aber überhaupt nicht drankommen kann.
Leider erging es unseren Freunden genauso wie in diesem letzten Falle. Als sie in das Innere des Kometen gegangen waren und vor Staunen über dass, was sie dort sahen, den Mund nicht mehr zu kriegten, war unbemerkt hinter ihnen die Türe wieder zugefallen. Von innen war aber kein Türgriff zu sehen, dort war nämlich überhaupt nichts. Kol und Vol konnten nicht mehr heraus und hatten es noch gar nicht bemerkt. Schlimmer war jetzt nur noch, dass sie sich noch nicht einmal sorgten. Denn sie dachten ja, dass sie jederzeit an ihr Schweizer Taschenmesser kommen konnten. Und so vertrödelten sie viel wertvolle Zeit mit dem Bestaunen von grün oder gelb getupften Eiern, gefüllt mit Tierchen, die zwar süß aussahen, von denen sie aber nicht wussten, woher sie kamen, wer sie auf die Reise geschickt hatte und wie groß sie einmal wachsen würden. Als sie lange genug geguckt, gestaunt und gekichert hatten, drehte Kol sich um, weil er wieder zur Türe gehen wollte. Er konnte aber keine Türe sehen. Die Türe gab es zwar noch, aber sie war so gut versteckt, dass sie fast gar nicht zu sehen war. Und als Kol und Vol endlich die Türe gefunden hatten, nützte ihnen das überhaupt nichts. Eine ganz feine Linie zeigte ihnen, wo die Öffnung war. Zu dünn, um irgendetwas dazwischen zu schieben und die Türe aufzuhebeln. Sie suchten nach einem verborgenen Mechanismus, mit dem man sie vielleicht auf irgendeine andere Art öffnen könnte. Sie suchten ohne Ergebnis, bis Vol schließlich sagte: „Wenn wir jetzt nicht aufhören zu Suchen und uns statt dessen mal richtig Gedanken machen, dann knallen wir gleich gegen den blauen Planeten“. In der Tat dauerte es jetzt nur noch neunzig Minuten bis zum Zusammenstoß. Neunzig Minuten und keine Idee. Die Lage war fast aussichtslos. Jeder andere hätte sein letztes Stündlein schlagen gehört und alle Hoffnung fahren gelassen, aber nicht die Pomponeller. Die haben keine Angst, denn bisher sind nur ganz wenige Bewohner dieses bemerkenswerten Planeten mitten in einem Abenteuer gestorben. Fast alle wurden nach ihrer Raumfahrerkarriere steinalt und erzählten oft unter irgendeinem pomponellischen Ruganfruchtbaum ihren Ur-Ur-Urenkelkindern von ihren spannenden und gefährlichen Abenteuern, wobei sie natürlich immer ziemlich heftig übertrieben. Später starben sie meistens friedlich im Bett. Aber auf gar keinen Fall in einem rasenden Kometen. Das war noch nie vorgekommen.
Auch diesmal sollte es nicht passieren, denn Vol hatte schließlich eine Idee. Sie wusste selbst, dass die Idee nicht die allerbeste war, aber ihr blieb ja auf die Schnelle nichts anderes übrig, als die erste Idee auszuführen, die in ihren Schweinekopf kam. Und die Idee war diese: Sie hatten noch den Schlüssel ihrer Landekapsel in der Tasche und wenn man da auf den Knopf drückte, öffneten sich alle Luken der Kapsel und wenn man noch mal drückte schlossen sie sich wieder. Und weil die pomponellischen Ingenieure sehr verspielt waren, hatten sie die Kapsel so konstruiert, dass die Einstiegsleiter gleichzeitig runterschnellte - und zwar mit einem Mordskaracho. Einmal hatte ihnen das das Leben gerettet, denn mit der fernbedienten Leiter hatten sie ein wildes Tier K.O. geschlagen, als es gerade zum Angriff ansetzte. Vol wollte also die Fernbedienung betätigen und hoffte, dass sie durch die Wände des Kometen hören würde, wo ihre Landekapsel stand, denn die Leiter müsste ja dort auf den Boden klopfen. Dann wollte sie an dieser Stelle mit ihrem Freund Kol ein Loch graben – wie gesagt, es war eine dumme Idee - und dann schnell in die Kapsel klettern und die Welt retten. Als Vol allerdings auf den Knopf drückte passierte gar nichts. „Wir müssen erst in die Nähe der Kapsel gelangen, denn so eine Fernbedienung reicht nicht sehr fern“, rief sie. Aber wo die Kapsel genau stand, daran konnten sie sich nicht mehr erinnern. „Wir müssen mehr nach links“, - Kol war sich ganz sicher. Aber Vol glaubte, dass rechts besser wäre. „Das ist keine Fernbedienung, allerhöchstens eine Mittelnahbedienung“, schimpfte Vol. Und so liefen sie nach rechts und dann nach links, nach vorne und nach hinten und drückten dabei wie wild auf den Knopf. Aber alles war falsch. Dann, auf einem Mal, als sie schon dachten die Batterie der Mittelnahbedienung wäre jetzt endlich leer, ging ein Schlag durch den Kometen, als würden alle Glocken der großen Kathedrale in Pimpampom, der Hauptstadt Pomponellas, gleichzeitig schlagen und man hätte das Pech, im Glockenturm zu stecken. Sie waren also in der Nähe ihrer Raumkapsel, aber der ohrenbetäubende Lärm, den die Schläge der metallenen Leiter in der riesigen hohlen Kugel verursachten, ließ sie vor Schreck zusammenzucken. Sie konnten nicht erkennen, woher der Lärm kam, denn es klang so, als wäre er überall gleichzeitig, vor allem aber mitten in ihrem Kopf. Trotzdem hatte Vol den Mut, noch einmal auf den Knopf zu drücken und wieder ertönte dieser größte Lärm, den wohl jemals ein Pomponeller gehört hatte. Wieder konnten sie nicht hören, woher er kam, aber direkt über ihrem Kopf beulte sich der Komet nach innen.
Hier also stand die Landekapsel. Keine fünf Meter entfernt, aber noch unerreichbar. Kol und Vol trauten sich zwei weitere Schläge zu - und sicher auch mindestens zwei weitere Tage Kopfschmerzen - und die Leiter der Landekapsel hatte ein Loch in den Kometen geschlagen und lugte über ihnen durch die Metalldecke. Jetzt war es für unsere beiden Freunde ein Leichtes nach oben zu gelangen, denn die Leiter passte sich automatisch an die Gegebenheiten jeder Planetenoberfläche an und fuhr hinunter bis zu ihrer größten Länge von zwei Metern und vierundsechzig Zentimetern unterhalb des Planetenbodens, und sie mussten sich nur ein kleines bisschen strecken um die unterste Sprosse zu erreichen. Kol mit seiner schlaksigen Länge erreichte die Sprosse mit einem leichten Sprung, zog sich behände hoch und hängte sich wie ein Zirkusartist mit dem Kopf nach unten in die Sprossen. Dann gab er seiner Freundin die Hand und zog sie trotz ihres großen Gewichtes ohne die geringste Mühe zu sich hoch.
Jetzt wurde es ungemütlich, denn sie mussten sich noch durch das enge Loch zwängen, dass die Leiter geschlagen hatte, aber dann blieb ihnen vor Staunen die Spucke weg.
Wie eine riesige blaue Wand stand die Erde vor ihnen. Sie bedeckte den gesamten Horizont. „So sieht es also aus, wenn man mal anders als gewohnt auf einem fremden Planeten landen will.“ Vol schaute sich mit frohem Herzen um, nachdem das erste überwältigende Bild einer riesigen Vorfreude gewichen war. Das waren diese großartigen Augenblicke, weswegen sie Astronautin geworden war. „Nicht schlecht, aber wir sollten mal etwas tun“, rief Kol. „Typisch Mann,“ dachte Vol, „so ein wunderschöner Anblick, und er hat nicht mal einen Augenblick Zeit, ihn zu genießen.“ Laut aber sagte sie: „Du hast ja recht, dieser wunderschöne Planet kommt uns doch recht plötzlich entgegen“.

