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Zopf und Rike und die Schweine aus dem Weltraum

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Das vierte Kapitel, in dem die Erde gerettet wird

- bis auf eine Libelle

 

„Hicks“, machte die Riesenlibelle und geriet ins Schlingern. „Hicks“, jetzt verlor sie endgültig ihren Flugrhythmus und fing an zu trudeln. Erst im letzten Moment konnte sie ihren Sturz abfangen. Dabei berührte sie fast das Wasser des schwarzen Sees, über dessen glatte Oberfläche sie bis gerade eben noch so ruhig geflogen war. „Hicks“. Diesmal war sie darauf vorbereitet und kam dem dunklen, gefährlichen Wasser nicht mehr ganz so nahe. Sie flog nur eine seltsame Kurve, bevor sie wieder ihr Ziel am Ufer ansteuerte. „Hicks.“ – „Was ist denn mit dir los?“, ihre Nachbarin, die auch gerade auf dem großen Rundflug über See und Wald war, klang besorgt, aber die Riesenlibelle wiegelte ab: „Ach, ich habe wohl nur zu viel Nektar -Hicks- auf der Riesenblütenwiese genascht. Wenn ich einmal angefangen habe, finde ich oft kein Ende mehr.“ Die beiden Libellen schwebten jetzt dicht über dem Wasser und fingen eine kleine Plauderei an. Hin und wieder brachte der Schluckauf die eine der beiden noch aus dem Gleichgewicht, aber im Großen und Ganzen war es eine sehr friedliche Szenerie, die sich einem Beobachter hier am See bot. Das strahlende Licht der Mittagssonne war die perfekte Beleuchtung. Der Wald hatte genau den richtigen Grünton, das Schwarz des Sees und die roten Körper der Libellen rundeten ein fast schon kitschiges Bild ab. Aber es gab keinen Beobachter. Es gab nur die Libellen, den Wald und den See. Und wenn die Libellen jetzt nicht angefangen hätten, über so blöde Themen wie Laubsägearbeiten, Plattentektonik, Briefmarkensammeln oder Schnellkochtöpfe zu reden, dann wäre es fast schade, dass ich oder ihr nicht dabei waren. Es war niemand dabei. Weder ihr, noch ich noch sonst wer. Und Laubsägen und Schnellkochtöpfe gab es noch gar nicht, die Plattentektonik war zwar in vollem Gange, aber noch nicht entdeckt. Denn es gab auch noch keine Menschen, keine Häuser, keine Hubschrauber, Sesamkräcker, Tiefkühltruhen, Kniestrümpfe, Telefone, Suppenlöffel und auch keine Dauerlutscher. Es war ein ganz gewöhnlicher Tag in der Urzeit.

Wieso redeten die Libellen denn über solche Dinge? Nun, sie hatten sich wohl einfach in der Zeit geirrt. Sie konnten ihren Fehler aber leider nicht mehr wieder gut machen, denn plötzlich teilte sich die Wasseroberfläche, ein riesiges dunkles Seemonster schnellte mit einem Satz hervor und verschlang eine der Riesenlibellen, bevor es mit einem tollpatschigen Platschen in einer großen Welle wieder in den Tiefen des geheimnisvollen Sees verschwand. Alles war wieder still und friedlich. Die übrig gebliebene Riesenlibelle guckte etwas komisch, zuckte die Schultern, wobei auch ihr Flug etwas unruhig wurde und flog dann weiter. Das war ihr heute schon zum dritten Mal passiert, dass ihre Begleitung weggeschnappt wurde und sie nicht. Es war wohl ihr Glückstag.

Nachdem die Riesenlibelle verschwunden war, blieb der See still und schwarz zurück. Das Wasser wurde wieder so glatt wie eine polierte Steinplatte. Dann, ganz belanglos, kräuselte eine klitzekleine Welle die Oberfläche. Dann blubberte es und Luftblasen zerplatzten im strahlenden Sonnenlicht. Die Seeoberfläche kräuselte sich stärker, kleine Wellen bewegten sich auf das Ufer zu und zwei dunkle große Augen erschienen neugierig auf dem Wasser, umrandet von grauen, unregelmäßig geformten Hornplatten. Ein zerklüftetes Gesicht mit wulstigen Lippen und langen dicken Barteln schaute aus dem Wasser. Das Wesen, das jetzt nach Luft schnappte, sah uralt und geheimnisvoll aus. Aber es war nur ein Lungenfisch. Und Lungenfische sehen so aus und fressen auch Libellen. Also bitte keine falschen Vorwürfe an dieses vermeintliche Monster. Denn mit diesem Lungenfisch, der übrigens Ärwin hieß, geht es nun weiter.

Seit dreieinhalb Jahren, immer um die Mittagszeit guckte der alte Lungenfisch aus dem Wasser. Mittlerweile hatten sich die Libellen in dieser Gegend der Urzeit daran gewöhnt und blieben dann auch meistens in Ufernähe. Aber ein paar unvorsichtige Exemplare, oder Libellen auf der Durchreise, die die hiesigen Gepflogenheiten nicht kannten, fielen dem Lungenfisch immer wieder mal zum Opfer. Meistens ging er jedoch leer aus. Das machte ihm auch gar nichts aus, denn er war schon seit sieben Jahren vorwiegend Vegetarier. Libellen und andere Insekten jagte er nur noch aus sportlichem Ehrgeiz. Ansonsten hatte es sich der große, alte Lungenfisch zur schönen Angewohnheit gemacht, sich jeden Nachmittag am Ufer seines Sees im Westen von Gondwana zu sonnen. Bis dahin hatte er noch etwas Zeit. Er schwamm in die Mitte des Sees und schaute sich um. Der Schachtelhalmwald wiegte sich im sanften Wind ruhig hin und her. Kein Lebewesen war mehr zu sehen und der Fisch schwamm zu seinem Lieblingsplatz am Ostufer. Er spannte schon mal die Brustflossen und als er den Boden am flachen Ufer berührte lies er noch einmal das Wasser durch seine Kiemen gleiten. Dann atmete er aus, streckte seinen Kopf in die Höhe und nahm einen tiefen Atemzug in seine Lunge. Wenn die Sonne wie jetzt im Sommer hoch über den zwei spitzen Zinnen dort hinten, über dem grünen Schachtelhalmwald gleißend strahlte, beglückwünschte er sich zu seinem Entschluss, auch außerhalb seines Sees das Atmen erlernt zu haben. Eigentlich musste er es ja gar nicht lernen. Er konnte es als Lungenfisch schon immer. Aber die wenigsten Lungenfische trauen sich das. Und er wollte das irgendwann mal machen, hatte es aber immer auf später verschoben. Dann endlich, vor dreieinhalb Jahren hatte er es getan. Und es war gar nicht so schwer. Nur ein wenig ungewöhnlich. Er fand schon immer, dass man nie zu alt war für etwas Neues. Aber er hatte immer eine andere Ausrede gefunden, um sich das nicht eingestehen zu müssen. Mal hatte er keine Zeit, mal keine Lust. Dann ging es ihm nicht so gut und er wollte seine Gesundheit nicht aufs Spiel setzen, oder er musste sich um seine Familie kümmern. Immer war irgendetwas dazwischen gekommen. Vor dreieinhalb Jahren hatte er es dann getan. Einfach so. Auf seine alten Tage. Er war zwar ungefähr dreihundertsiebenundachtzig Jahre alt, aber wie alt Lungenfische wirklich werden, wusste man ja noch gar nicht. Sein Onkel war fast siebenhundert gewesen, als er das Tieftauchen erlernt hatte und durch einen geheimen Tunnel am Boden des Sees zum Meer geschwommen war und am Meeresgrunde verschwand. Seit dreiundsechzig Jahren schickte er keine Postkarten mehr. Aber das brauchte ja nichts zu heißen. Vielleicht waren da, wo er jetzt wohnte, keine Briefkästen in der Nähe und natürlich gab es ja noch keine Briefmarken.

Die anderen Fische in seinem kleinen See mussten sich jetzt mit dem immer dunkler werdenden Gewässer und dem zunehmendem Schlamm abfinden. Aber Ärwin genoss seine mittägliche Lichtration. Vielleicht bald, so überlegte er, würde er sich ganz auf das Festland begeben. Dort lag wohl die Zukunft. Und dann träumte er, wie jeden Tag, von fischigen Wesen, die ganze Dörfer am Strand bauten und nur noch zum Vergnügen ins Wasser sprangen und dort herumtollten.

Während er so im Uferschlamm lag und auf einer Urzeitpflanze herumkaute, um sich schon mal an diesen Geschmack zu gewöhnen, geschah etwas Ungewöhnliches. Es wurde dunkler, obwohl die Sonne ja sehr hoch am Himmel stand. Außerdem war ein leises Zischeln und Rumpeln in der Ferne zu hören. Als er den Kopf drehte um zu schauen, warum so seltsame Dinge passieren, musste er doch staunen. Hier an Land gab es immer etwas Neues zu entdecken. Jetzt flog dort von Süden also ein riesiger dunkler Ball heran und verdeckte schon einen großen Teil der Sonne. Als dieses Ding immer lauter und größer wurde, überlegte Ärwin, dass der Zeitpunkt, an Land zu gehen, vielleicht schon jetzt war, denn dort hinter den Steinen war er bestimmt sicherer als hier, direkt am offenen Gewässer. Mit einer Behändigkeit, die er sich in seinem Alter selbst gar nicht mehr zugetraut hätte, stakste er zu den Felsen und dachte dabei wohlwollend an seine allmorgendlichen Flossenübungen, durch die er mittlerweile prächtige Muskelpakete bekommen hatte. Er konnte fast laufen, als wäre er schon lange ein Landbewohner. Hinter den Felsen angelangt, suchte er sich einen sicheren Platz zum Beobachten. Das Schauspiel, das er dann zu sehen bekam, war eine grandiose Entschädigung für all die Anstrengungen, die er heute eigentlich gar nicht mehr vorgehabt hatte.

 

Kol und Vol hatten sich sofort wieder in ihre Pilotensessel gesetzt und die Sicherheitsgurte diesmal nicht angelegt. „Ich will im Notfall rausspringen können“, sagte Vol. Kol bewunderte sie, weil sie so mutig war. Dann sagte er: „Die Landekapsel ist immer noch zu schnell, die Rotoren werden überhaupt nichts nützen.“ „Wir müssen sofort die Raketen starten und vor allem müssen wir erst mal diese Riesenkugel drehen.“ Denn sie flogen mit der Landekapsel voran auf die Erde zu. Selbst wenn der Flug gleich wesentlich langsamer würde - und davon gingen sie ja mit Sicherheit aus - dann würden sie trotzdem unter der Kugel zerquetscht werden. Das hatten sie so nicht vor. Kol startete die Raketen, um den Riesenkometen – vielleicht wie einen Kreisel, der angeschubst wird - zu drehen. Aber rein gar nichts passierte. Es bewegte sich nichts. Sie standen eingeklemmt zwischen den Kratern und es wurde nur ungemütlich warm in ihrer Umgebung

„Hör auf! Es nützt gar nichts!“ rief Vol enttäuscht. Jetzt wurde es ihnen allerdings doch etwas mulmig. Es waren nur noch sieben Minuten bis zum Aufschlag. Aber unsere Pomponeller gaben so schnell nicht auf: „Die Landekapsel ist jetzt auf jeden Fall verloren. Wir müssen nur heil runterkommen, dann muss der Kommandant uns halt abholen.“ – „Das macht der aber wirklich nur äußerst ungern und ich will ihn eigentlich auch nicht so gerne danach fragen, aber wenn es sein muss, dann muss es eben sein.“ - Kol kannte den Kommandanten recht gut. „Wenn der uns abgeholt hat, redet er aus lauter Ärger vierzehn Tage lang kein Wort.“ Und Vol kicherte: „Das schafft ja selbst der nicht.“

Jetzt drehten sie die Raketen nach oben in Richtung Erde. Die Rotoren wurden durch den heißen Strahl auf der Stelle komplett verbrannt und es gab ein munteres Feuerwerk, dessen Funken an den Kabinenfenstern vorbeitanzten und auf der Erde wohl als eines der schönsten Lichtspektakel aller Zeiten und Urzeiten zu sehen war. Sie flogen beide quer durch die Kabine, denn der ganze Komet mit der Kapsel wurde ganz plötzlich langsam, so dass es fast wie eine Vollbremsung war. Kol hatte den maximalen Schub gegeben, den man nur dann geben sollte wenn sowieso schon alles verloren ist und es egal ist, ob die Triebwerke überleben. „Anschnallen ist eben doch besser“, sagte Vol. Kurz darauf öffnete sie die Türe und wagte einen Blick nach Draußen. „Das wird eine butterweiche Landung werden. Leider die letzte für unsere gute, alte Landekapsel.“ – „Bei diesem Bummeltempo haben wir aber noch reichlich Zeit, unsere sieben Sachen zu packen und in das Innere des Kometen zu klettern. Die Leiter reicht ja immer noch durch das Loch.“

Diesmal mussten sie nur in die andere Richtung klettern. Als sie gerade alles Wichtige ins Innere des Kometen geschafft hatten, setzte die Landekapsel rumpelnd auf.

Kol und Vol weinten beide ein kleines bisschen, denn ihre Kapsel, mit der sie schon so viel erlebt hatten, war hinüber. Sie warteten gespannt auf das Geräusch, das entsteht, wenn Metall zermalmt wird, aber es gab nur ein leises Schmatzen. Der Komet war in einen verschlammten See gestürzt und die riesige Kugel hatte die kleine Landekapsel in den Morast gepresst und war selbst zum Teil eingesunken. Sie saßen also jetzt im Inneren dieser komischen, warmen Höhle, zusammen mit unzähligen Dinosauriereiern, hatten gar keine Möglichkeit hinauszukommen und wünschten sich nichts sehnlicher, als den neu entdeckten Planeten vor ihren Freunden erkunden zu können.

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