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Zopf und Rike und die Schweine aus dem Weltraum

 

 

 

 

 

 

Kapitel zwanzig, in welchem der Eingang in die Rabenburg gefunden wird - es ist der Hintereingang

 

„Aua“, Zopf schrie, dann fluchte er herzlich und laut. Diese pomponellischen Werkzeuge waren nicht für seine Hände gemacht. Er hatte sich schon wieder auf die Finger gehauen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fuchtelte er mit seiner Hand in der Luft herum. Der Hammer war einfach zu schwer und zu unhandlich und die Form des Stiels hatte wohl eher ein Künstler als ein Ingenieur gestaltet. „Habt Ihr nicht irgendwo noch anderes Werkzeug?“ fragte er gepresst den Professor. „Mit diesem Hammer kann doch kein Mensch arbeiten.“ „Natürlich nicht“, antwortete Irmiguckilus. „Das Werkzeug ist ja auch für die flinken Hände eines geschickten Pomponellers gemacht. Aber warte Mal, ich glaube, hm, irgendwo war noch…“ Und grummelnd verschwand er in den hinteren Räumen des Raumschiffes. Zopf schaute ihm kopfschüttelnd hinterher und als der Professor auch nach fünf Minuten noch nicht zurück kam, begann er wieder mit dem komischen Werkzeug der Außerirdischen zu arbeiten. Schon wieder hatte er sich auf die Finger gehauen und Tränen standen ihm in den Augen. Er musste sich sehr beherrschen, nicht ohnmächtig zu werden und er spürte wie etwas Blut aus seinem lädierten Finger rann. Er schloss die Augen und atmete mehrere Male tief durch. Auf einmal hatte er eine Vision. Ein Werkzeug von edler Schönheit erschien vor seiner Nase. Ein Hammerkopf, nicht zu groß und nicht zu klein. Das Metall glatt, fest und mit einer Spitze, die mühelos mit jedem Nagel fertig werden sollte. Befestigt war der perfekte Hammerkopf an einem Stiel, der wie für seine Hände gemacht schien. Das Material schien stabil und haltbar zu sein, die Gewichte von Kopf und Stiel perfekt ausbalanciert. Zopf stöhnte noch einmal, dann lächelte er. Diesen Hammer wollte er sich bauen, damit seine Arbeit jetzt und auch später mehr Spaß machen sollte.

„Ähem“, machte es und Zopf zwinkerte. Er wollte sich die Vision noch einprägen, da merkte er, dass es gar keine Vision war. „Ähem“, der Professor hielt ihm den Hammer seiner Träume vor die Nase und sagte: „Ich glaube, die Krustkis haben einen ganzen Werkzeugkasten in der Wagemut verstaut. Es sind sogar Spezialwerkzeuge drin, mit denen man den Superantrieb reparieren kann. Aber für unsere Hände ist nichts davon geeignet, deshalb haben wir einfach alles im Kasten gelassen. Probiere doch den Hammer mal aus, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass es damit besser geht“. Zopf nahm den Hammer der Krustkis und der Professor, in einem seltenen Anflug von Tatkraft, nahm den Pomponellerhammer und gemeinsam bauten sie an… Ja, woran bauten sie eigentlich?

Zopf hatte begonnen, den Zirkuswagen zu bauen, denn er wollte Rikes Idee sofort in die Tat umsetzten. Alles musste jetzt sehr schnell gehen.

In spätestens zwei Tagen musste alles fertig sein, ansonsten wäre der Zirkus in der Rabenburg und sie könnten sich nicht mehr anschließen. Je später sie dazu stoßen würden, desto mehr Verdacht würden die übrigen Artisten und Schausteller schöpfen. Und es war bei den Künstlern so üblich, dass sich die, die neu dazukämen, hinten einreihen mussten. Der letzte Wagen würde sicher genauso auffallen, bei der Einfahrt in die Rabenburg, wie der Erste. Und auffallen wollten sie auf keinen Fall.

Die Pomponeller hatten ihren Farbvorrat aus der „Wagemut II“ geholt und auch das alte Schachtelhalmholz von vor nicht ganz 15 Millionen Jahren, dass ja in Wirklichkeit erst wenige Wochen alt war. So ein gutes Material gab es auf der heutigen Erde gar nicht mehr. Der Professor hatte für Notfälle bei ihrem ersten Besuch einiges davon eingelagert. Schachtelhalmholz ist sehr leicht und stabil und lässt sich wunderbar bearbeiten. Da würde Sir William nicht so viel ziehen müssen. „Der Karren muss auf jeden Fall groß genug sein, damit da drin Platz für Vorräte und für ein großes Wahrsagerzelt ist, aber auch nicht zu groß, sonst ist ein Schwein als Zugtier zu schwach.“ Gustavs Einwand war richtig und Zopf meinte: „Dann nehmen wir einfach unseren bisherigen Karren und bauen den um. Das geht außerdem schneller und sieht auch noch wunderschön aus.“ Das Zelt nähte Vol. Sie war, wie wir ja wissen, sehr geschickt und geübt im Nähen, denn sie flickte regelmäßig ihren Raumanzug.

Während sie arbeiteten, flog der Kommandant mit dem kleinen Flugzeug, das an Bord der „Wagemut II“ war, zum Erkunden raus. Er wollte sehen, wo die Zirkuswagen auf ihrem Weg zur Rabenburg schon waren. Das kleine Flugzeug war für Erkundungsflüge auf fremden Planeten vorgesehen und deshalb sehr wendig und schnell und fast unsichtbar, wenn es unter dem Himmel klebte, und außerdem so leise, dass es gar nicht zu hören war. Nach zwei Stunden kam der Kommandant zurück. Er verstaute das Flugzeug sofort wieder im Rumpf der „Wagemut II“ und da wussten alle, dass er die Zirkustruppe entdeckt hatte. Als er zu ihnen kam, mit der leichten Lederkappe der Aufklärungsflieger unter dem Arm und mit stolzgeschwellter Brust, sah er genauso aus wie ein Kunstflugschüler der gerade zum ersten Mal einen Dreifachlooping geschafft hatte. „Ihr müsst euch beeilen“, rief er schon von weitem. „Sie sind nur noch zwei Tagesreisen von der Rabenburg entfernt.“ – „Na los, dann bauen wir um die Wette!“ rief Zopf dem Professor zu und sofort hallten die Hammerschläge wieder durch das Tal, nur unterbrochen von den kurzen Schmerzensschreien des Professors, wenn der sich mal wieder auf die Finger gehauen hatte.

Als sie fast fertig waren kam Vol mit einem dicken bunten Stoffbündel über ihrem Arm zum Bauplatz. Sie breitete die Stoffbahn aus und gemeinsam mit dem Professor zog sie ihre Kreation über das Zeltgestell, das schon am Wagen befestigt war. Das Ergebnis war überwältigend. Vor Zopf, Rike und den Pomponellern stand der schönste Zirkuswagen, der jemals über die Erde oder über Pomponella oder auch nur durch Norgrenland gerollt ist. Vols Nähkunst und die Schönheit des Pomponellerstoffes hatten ein Kunstwerk geschaffen, mit dem sie auf jedem Jahrmarkt eine Attraktion wären.

Da kam Gustav aus dem Raumschiff und sah den Wagen. „Ach du liebe Güte!“ murmelte er. „Das geht so nicht. Unser Wagen sieht zu perfekt aus. Er wird auffallen und zu viel Aufmerksamkeit ist das Letzte, was wir brauchen können.“ – „Ach bitte“, rief Rike. „So ein schöner Wagen, den können wir doch nicht noch mal umbauen. Wir kommen dann viel zu spät zur Rabenburg“. Gustav überlegte und gab schließlich nach: „Na schön, aber dann müssen wenigstens wir etwas weniger auffällig sein. Also haltet euch bei eurer Kleidung etwas zurück.“

Fünf Stunden später war der kleine Tross bereit zur Abfahrt. Sir William, ausgerüstet mit einer reichverzierten Satteldecke und einer kleinen Krone, die er ziemlich albern fand, hatte wieder den Wagen an seine Seite geschnallt. Dieser sah jetzt aber ganz anders aus, als bei ihrer Flucht. Er war jetzt etwas höher und länger. Dennoch war er nicht zu schwer geworden. Man konnte den Wagen auseinanderklappen und das Gestell so aufbauen, dass es vorne offen war und man drin stehen konnte. Das ganze Zelt war ein Meisterwerk. Zopf hatte einen Tisch gebaut, der unten mit einer dicken und undurchsichtigen Brokatdecke verhängt war. In dem Tisch war ein Loch, groß genug, dass Ärwin mit seinem Helm hindurchschauen konnte und unter dem Tisch war genug Platz für den Lungenfisch. Durch pusten und durch Bewegungen des Kopfes sollte die Helmkugel so einmal klar und einmal undurchsichtig sein. Diese Wahrsagerkugel war das Herzstück des Zeltes. Gustav hatte sich als „Der Große Zampanello“ verkleidet und wollte den Besuchern die Zukunft voraussagen. Zopf und Rike steckten in einfachen Zirkusuniformen, blau und rot, mit goldenen Knöpfen. Die übrigen Verzierungen hatten sie abgerissen. Außerdem trugen sie jeder einen Turban. Zopf einen grünen, Rike einen rot-gelben und der Turban von Gustav war blau. So verkleidet wollten sie über den Jahrmarktsplatz gehen und Kunden ansprechen. Außerdem hofften Sie natürlich dadurch unauffällig die Rabenburg ausspionieren zu können.

Jetzt war es aber wirklich Zeit zum Abflug. Der Kommandant holte wieder das kleine Erkundungsflugzeug aus der „Wagemut II“. Da die Truppe mit ihrem Wagen nicht da rein passte, hatte er unter das Flugzeug eine Transportplattform montiert. Er hob vorsichtig ab und lies den kleinen Flieger ungefähr drei Meter hoch in der Luft schweben. Jetzt lag das Transportblech auf dem Boden. Es war mit Stahlketten am Flugzeug befestigt. Sir William war es etwas mulmig zumute, als er mit dem Wagen auf die Plattform ging, aber der Wagen und auch Sir William wurden mit zwei Pomponellerseilen an der Plattform befestigt und Gustav, die Kinder und Ärwin bestiegen ebenfalls die Plattform. Sie hatten, anders als das Schwein, keine Angst. Aber das sollte sich bald ändern. Der Kommandant rief aus der Kanzel herunter: „Ich werde ganz vorsichtig fliegen!“

Und dann flog er los. Zunächst wackelte es und sie schwankten hin und her, bevor sie abhoben. Dann schlugen sie wieder auf dem Boden auf und Funken stoben, während sie drei Meter über die Steine schrammten. Langsam und ruckelnd gewannen sie dann doch etwas an Höhe. Der Kommandant hatte das zusätzliche Gewicht falsch berechnet. Zopf wurde von Gustav festgehalten, kurz bevor er herunterfallen konnte, Rike klammerte sich sofort an ihre Haltekette. Sir William quiekte vor Aufregung und Angst ganz hektisch. Nur der Lungenfisch war ruhig. Er döste, den Kopf im Wasserglas, vor sich hin und bemerkte die Aufregung kaum.

Jetzt hatten die Passagiere auf der Plattform Zeit, nach vorne zu gucken und stöhnten gleichzeitig auf – dann schrien sie. Die Plattform raste auf den Wald zu, nur wenige Meter über dem Boden. Kurz vor den ersten Bäumen ging es steil nach oben und nur noch die ersten Äste streiften unsere Freunde. Endlich waren sie oben, wenn auch wild schaukelnd. Sie hatten sich gerade beruhigt, als der Kommandant eine scharfe Kurve flog und beschleunigte, bis sie Tränen in den Augen hatten. Es war keine Zeit zum Ausruhen. Sie mussten sich immerzu festhalten und jeden Augenblick für neue Flugmanöver gewappnet sein. Vor sich erkannten sie schemenhaft einen weiteren dichten und ausladenden Wald. Der Kommandant hielt darauf zu ohne das Tempo zu drosseln. Sie flogen so tief über dem Wald, dass immer wieder Äste ihren Boden streiften und hier und da Vögel panisch aufflogen. Dann plötzlich und ohne Vorwarnung bremste das Flugzeug. Die Plattform schaukelte weit vor und zurück. Wie im Fahrstuhl fielen sie senkrecht herunter und mit einem lauten Knall und einem gewaltigen Bums unter ihren Füßen kamen sie zum Stehen. Sie waren angekommen. Der Kommandant legte Rike noch eine geheimnisvolle Kette mit einem roten Stein um den Hals und dann war er weg.

"Na toll", sagte Rike, als sich der Staub gelegt hatte. "Jetzt ist das ganze schöne Aussehen hinüber, schaut euch doch mal an!" Alle blickten in die Runde und Zopf wollte gerade über den Kommandanten schimpfen, als sie eine weitere Staubwolke sahen, die sich auf der Straße näherte. Das konnte doch nur die Karawane der Schausteller und Zirkusleute sein, dachten sie sofort und als die Staubwolke näher kam und sich erste Gestalten im Staub zeigten, sahen sie, dass sie richtig vermutet hatten. Gleichzeitig fiel ihnen ein großer Stein vom Herzen - die anderen Schausteller, Gaukler und Artisten waren alle sehr dreckig weil sie schon wochenlang auf der staubigen Landstraße unterwegs waren. Wie sehr wären sie aufgefallen, wenn sie sauber und wie aus dem Ei gepellt auf die anderen gewartet hätten.

Als die Zirkusgruppe bei ihnen angelangt war, gab es ein großes Hallo. Die anderen freuten sich, denn Wahrsager waren noch nicht dabei. Es gab Artisten, sowohl Bodenturner, als auch welche, die auf einem Seil spazieren konnten, Jongleure, Clowns und Dompteure. Einige der Tiere, die zwischen den Wagen mitgeführt wurden, hatten Zopf und Rike, aber auch Gustav, noch nie gesehen: Elefanten, Giraffen und Zebras waren in Norgrenland unbekannt. Die Bären waren zwar bekannt, aber sehr gefürchtet und man sah sie am liebsten nur aus der Ferne; weiße Bären kannte man hier gar nicht. Als Zopf und Rike zu sehr staunten, stupste Gustav sie unauffällig in die Seite. Als Zirkuskinder sollten sie besser nicht über Wunder staunen, denn sie waren ja selber Teil der wunderbaren Show - also rissen sie sich zusammen und taten so, als wäre das alles nichts Neues für sie.

Dann ging es mit allen Anderen gemeinsam weiter. Langsam zogen die bunten Gruppen vorbei, immer wieder gab es erfreute Begrüßungsrufe und nette Worte und dann reihten sich unsere Freunde ganz am Ende ein. Dann, gerade als sie schon auf die weite Ebene vor der Rabenburg einbogen und fürchteten, sie würden als letzte Gruppe auf dem Schlosshof eintreffen, stießen noch zwei Gruppen dazu: eine Gruppe junger Frauen und Männer, die Instrumente mit sich führten und außerdem fünf weitere Wagen, beladen mit Gemüse, Obst, Säcken mit Mehl und Zucker, die zu einem großen mobilen Restaurant gehörten. Ganz am Ende rollte ein Backofen auf zwei großen Holzrädern vorbei, aus dessen Kamin sogar immer noch eine dünne graue Rauchwolke entwich. Mit dem Duft von frisch gebackenem Brot in der Nase trotteten sie weiter in Richtung Rabenburg. 

Dann sahen sie schon wieder eine dunkle Staubwolke, die kam allerdings schnell auf sie zu. Das waren Soldaten aus Raburaks Reiterstaffel. Ungefähr zwanzig Reiter kamen auf sie zugeritten, der Trupp teilte sich vor der Spitze ihres Zuges und auf jeder Seite ritten jetzt die Soldaten neben Ihnen, ein Reiterpaar direkt links und rechts neben unseren Freunden. Das Pferd auf der linken Seite kam dem Schwein Sir William so nahe, dass dieser die Nase rümpfte und leise was von regelmäßigem Duschen murmelte. Rike zischte leise zurück: "Ganz ruhig, bitte", und als der Reiter auf dem Müffelpferd argwöhnisch guckte, lächelte sie ihn selbstbewusst an.

Einen Augenblick hatte sie deshalb nicht aufgepasst und den Eingang in den Tunnel verpasst. Es wurde dunkel, bis auf die Fackeln an den Wänden und jetzt wusste Rike, warum sie bei ihrer Beobachtung keinen Menschen aus dem Haupttor der Rabenburg hatte kommen sehen. Das Haupttor war nur für offizielle Besuche gedacht, sie mussten den gut bewachten Hintereingang nehmen.

zum einundzwanzigsten Kapitel

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