
Zopf und Rike und die Schweine aus dem Weltraum
Das vierundzwanzigste Kapitel, in welchem sich zeigt, dass zu viel Arbeit nicht hilfreich ist - man hat zu wenig Zeit für wichtige Dinge
Während die Pomponeller noch im Weltraum unterwegs waren, brach in der Rabenburg der neue Tag an. An diesem Morgen war es für alle sehr schwer aufzustehen, aber sie quälten sich aus ihren Betten und als die Sonne so gerade über die hohen Zinnen der Rabenburg blinzelte, waren Zopf, Rike und Gustav schon auf dem Zirkusplatz. Natürlich wussten sie schon wieder nicht, wo Ärwin war, er war nicht bei ihnen im Zimmer gewesen. Aber der Lungenfisch war am Abend noch zurück ins Zelt geschlichen und hatte dort auch übernachtet. Das war wieder eine gute Idee von ihm gewesen, denn als unsere Freunde zu ihrem Wagen kamen, standen viele, viele Rabenburger Bürgerinnen und Bürger da und warteten darauf, dass es endlich losginge. Ärwin hätte sich bestimmt nicht ungesehen durch die Menge schlängeln können. So war er aber schon unentdeckt da und schlief noch faul unter einem Kissen. Die neugierigen Kunden aber mussten warten bis um zehn Uhr das Festival offiziell eröffnet wurde. Das taten sie mit großer Ungeduld. Und dann war es zehn Uhr und es geschah folgendes: zunächst passierte gar nichts. Als alle sehr, sehr unruhig wurden und manche sogar schon pfiffen und johlten, kam der Hausmeier, also der Verwalter der Rabenburg um zwanzig nach zehn mit einer Urkunde in der Hand auf den Platz stolziert. Hinter ihm war eine Gruppe Soldaten seines Musikcorps auf kleinen Ponys herbei geritten. Sie ließen drei Fanfarenstöße erklingen und der wichtige Mann rollte das Pergament auf, las es und rief so laut er konnte mit roten Wangen: "Unsere Festwoche ist eröffnet, allen Besuchern wünscht der große Raburak eine gute Unterhaltung. Aber - vergesst eure Arbeit nicht und bleibt anständig. Unsere Wache wird regelmäßig auf dem Festgelände patrouillieren und Verstöße streng ahnden. Also: Feiern ja, aber mit Sinn und Verstand. Und jetzt: Viel Spaß." Und dann verschwand die kleine, offizielle Gruppe schnell wieder.
Die Besucher fingen unverzüglich an zu murren: "Wie kann man denn da Spaß haben, wenn gleich die Polizei kommt," oder "So eine Spaßbremse, einmal im Jahr will ich auch mal richtig feiern," oder "Typisch Raburak, mit seinem verkniffenen Gesicht wird der niemals richtige Stimmung zulassen." Bei dem letzten Satz schaute die junge Frau gleich ängstlich in die Runde und hielt sich die flache Hand vor den Mund. Aber gottseidank war keine Wache in der Nähe. Keiner hatte es gehört und so wurde sie auch nicht bestraft.
Bei all den anderen Künstlern ging der Tag zunächst noch recht gemächlich los. Die Frauen und Männer aus den Restaurantwagen brachten ihre Tische und Bänke raus und stellten sie akkurat nebeneinander in den Schatten unter die Lindenbäume. Die Jongleure machten sich warm und begannen mit ersten kleineren Übungen, die Musikerinnen stimmten ihre Instrumente und die Zirkusartisten öffneten ihre Kassenhäuschen, damit die Karten für die erste Vorstellung zur Mittagszeit verkauft werden konnten. Nur vor dem Wahrsagerzelt stand schon eine lange Reihe von kleinen und großen Menschen. Die ungeplante Vorführung mit Raburak gestern war eine Werbung für unsere Freunde gewesen, wie sie besser nicht hätte sein können und jeder wollte seine Zukunft erfahren. Das war nicht so geplant gewesen, denn woher sollten sie nun die Zeit zum Erkunden der Rabenburg haben. Leider war das jetzt nicht mehr zu ändern und sie mussten sich wohl oder übel ihren Kunden widmen. Ärwin, Zopf und Rike leisteten richtig harte Arbeit. Es ging in ihrem Zelt zu, wie in einem Taubenschlag und Gustav schrieb die Zahl der Besucherinnen und Besucher gewissenhaft auf, damit sie das Geld, wie es Raburak versprochen hatte, bekommen würden. Sie planten, nichts davon zu behalten sondern es den anderen Artisten zu spenden. Das verrieten sie aber natürlich noch nicht.
Schließlich kam eine sehr neugierige Kundin, ein Mädchen, und bei ihr wurde es unseren Freunden wieder mulmig. Gustav hatte sich schon zu Beginn wieder versteckt, so dass zufällige Beobachter denken mussten, er würde aus dem Hintergrund sprechen. Zopf und Rike machten deshalb alles mit Hilfe von Ärwin alleine. Sie mussten also auch diese Frage alleine beantworten: "Wann können wir wieder wie früher, auf dem Burghof spielen wie wir es wollen?" "Knifflisch," grummele Ärwin nach einer kurzen Pause. "Do kannste disch doch nur in de Nessele setze mit dr Antwood." Und bevor noch jemand nachfragen konnte übersetzte Rike: "Auf diese schwere Frage, kann das Orakel wohl keine Antwort geben." - "Waad ens. Künne kann isch dat sischer, ävver... Jot, et is esu, dat dä Raburak dat nit will, also muss he fott, wenn de spille wells. Un wie dat jeit han isch at jesaht." Rike schluckte. "Na gut, dass Orakel hat einen Weg vorgeschlagen, der aber nicht einfach ist. Es hat eigentlich noch mal das Gleiche gesagt wie Gestern und das hat ja anscheinend schon die Runde gemacht. Mehr wollen wir dazu nicht sagen." Die Menschen vor dem Wahrsagerzelt wurden sehr unruhig, so dass Zopf laut sagte: "Das Orakel ist völlig unbeeinflusst in seinen Äußerungen. Falls wir beim Übersetzen einen Fehler gemacht haben, ist das nicht unsere Schuld. Es ist nun mal so bei Orakeln: sie geben Hinweise und die fragende Person muss ihre Antwort so nehmen, wie sie kommt." Er hoffte, dass es für sie damit leichter würde, nicht mit der Kristallkugel in Verbindung gebracht zu werden, aber vielen Bewohnern der Rabenburg gefielen die Antworten unserer Freunde natürlich sehr. Für sie war es schon eine Erleichterung, als sie merkten, dass die Wünsche, die sie hatten, von vielen anderen auch so gedacht wurden. Oft ist es ja so, dass man eine Meinung hat, aber nicht weiß, ob man damit alleine ist oder nicht. In so einem heiklen Falle wie jetzt, kann man ja auch nicht einfach nachfragen. Ganz schnell könnte man dann selber im Kerker landen, wenn man beim Falschen nachgefragt hätte. Jetzt merkten die Bewohner der Rabenburg aber, dass sie Viele waren, die Raburak nicht mochten. Um das Zelt gab es immer mehr Gespräche zwischen Menschen, die auf einmal etwas hoffnungsvoller in die Zukunft schauten. Aber auch die Wachen merkten langsam, dass am Wahrsagerzelt immer mehr Unruhe aufkam. Also gingen sie immer öfter an dem Zelt vorbei und der Eine oder die Andere hatten auf einmal keine Lust mehr, sich die Zukunft voraussagen zu lassen oder mit anderen Mitbürgern zu plaudern, denn unter den Augen der Obrigkeit traut man sich viele Dinge nicht. Jetzt hatten Zopf, Rike und Gustav doch noch die Gelegenheit, ein kleines bisschen spazieren zu gehen und dabei die Augen offen zu halten. Aber natürlich nicht gemeinsam; sie wollten sich abwechseln.
So machte sich Rike als Erste auf den Weg und schon nach kurzer Zeit war sie in einem ganz anderen Teil der Burg unterwegs, als dort, wo der Zirkus seinen Platz hatte. Sie war mittlerweile sogar sehr weit gekommen und hatte sich ein wenig verlaufen. Nun war sie ungefähr da, wo der Lungenfisch gestern die Theatervorstellung gesehen hatte. In diesem Teil der Burg lebten die Handwerkerinnen, die Verkäufer und die Diener, also die Bewohner, die die mühsame Arbeit machten und oft Kleider trugen, die viele Flicken hatten. Bei diesem Anblick musste Rike schmunzeln, es erinnerte sie an den Raumanzug von Vol und sie dachte im Stillen: "Ihr seid alle Helden!". Alle Menschen in dem Viertel waren sehr freundlich. Einige waren gestern schon am Wahrsagerzelt gewesen und erkannten Rike als das mutige Zirkusmädchen und manche sprachen sie darauf an. Schließlich traf sie das Mädchen, welches die Frage gestellt hatte, wann sie wieder auf dem Burghof spielen könne. Sie hieß Lida und mit ihr unterhielt sie sich: "Warum dürft ihr denn nicht mehr auf dem Burghof spielen?" "Ach," sagte Lida. "Wir dürften wohl schon, wenn wir leise wären. Nur haben wir gar keine Zeit mehr zum Spielen. Alles ist teurer geworden und wir müssen unseren Eltern im Haushalt helfen, weil die mehr arbeiten müssen. Obwohl Raburak jetzt so einen netten und klugen Berater hat, ist alles schwieriger geworden. Vielleicht sollte Raburak mehr auf ihn hören." Das kam Rike doch sehr vertraut vor und sie fragte: "Ist es nicht eher so, dass es schlechter geworden ist, seit der Fremde da ist?" Da wurde Lida ärgerlich und rief: "Nein, wenn du damit sagen willst, dass Satasch schuld an der Lage ist, dann irrst du dich. Das kann gar nicht sein. Er ist nur in einem ungünstigen Moment in die Rabenburg gekommen." Also musste Rike ihr mehr erzählen. Sie erklärte ihrer neuen Freundin also, was sie und Zopf mit den Krustkis schon erlebt hatten und wie schwierig, ja fast unmöglich es war, sich ihrem Bann zu entziehen. Als Rike dann erzählte, was sie und Zopf auf dem Baum gehört hatten glaubte Lida ihr endlich. "Ja, wenn du das so erklärst," sagte sie leise, "dann muss ich zugeben, dass es erst schlechter geworden ist, seit der neue Berater da ist. Aber, das was du mir jetzt gesagt hast, wird uns keiner glauben. Selbst ich kann dir kaum glauben und mir hast du jetzt alles erzählt. Diese Gelegenheit wirst du nicht nochmal kriegen und ich kann dir dabei gar nicht helfen."
Während sie sich auf diese Weise unterhalten hatten, waren Lida und Rike allmählich wieder zum Zirkusplatz gegangen. Dabei blieben sie immer im Schatten, nah bei den Häusern, damit sie nicht zusammen gesehen wurden. Als sie jedoch fast am Festplatz waren, hörten sie Unruhe, lautes Rufen und sahen aus der Ferne hastig hin und her rennende Menschen. Viel Aufregung herrschte auf dem Zirkusplatz. Vorsichtig schlichen sie näher, denn das kam ihnen seltsam vor. Als sie dann in Sichtnähe waren, schlichen sie sich hinter die Wagen der anderen Schausteller und konnten ungesehen beobachten, was ihnen sofort die Sprache verschlug: der Wahrsagerwagen war von Soldaten umzingelt und Zopf und Gustav wurden gerade gefesselt. Sie hörten den Kommandanten der Soldaten rufen: "Findet das Mädchen! Durchsucht die ganze Burg. In spätestens einer Stunde möchte ich sie mit den anderen Beiden im Kerker sehen!" Als Rike das alles sah und hörte, bekam sie es mit der Angst zu tun und fing an zu zittern. Lida reagierte jedoch unverzüglich. Sie nahm eine Decke aus einer der Truhen, hinter der sie sich versteckt hatten und warf sie über Rike. Dann rollte sie die Prinzessin ein, so dass sie wie ein Teppich aussah und warf sich des Bündel über die Schulter. Gottseidank war Rike nicht sehr schwer. Dennoch musste die junge Rabenburgerin ganz schön schleppen, um das Bündel fortzutragen. Dabei wurde sie natürlich auch von den aufmerksamen Soldaten beobachtet. Aber - Raburak sei Dank - waren hart arbeitende Kinder in der Rabenburg kein außergewöhnlicher Anblick und sie blieben unbehelligt.
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