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Zopf und Rike und die Schweine aus dem Weltraum

 

 

 

 

Das vierzehnte Kapitel, in welchem ein Fremder sich als Bekannter entpuppt und sogar mit Schweinen sprechen kann

So gut hatten Zopf und Rike schon lange nicht mehr geschlafen. Schon als sie unter ihren Decken lagen hatten sie ihre Sorgen vergessen. Die frische Luft und der Duft der Blumen und Kräuter, der hier in der saftigen Ebene viel intensiver war als in den nördlicheren Regionen aus denen sie kamen, hatte sie so müde gemacht, dass sie zwei Stunden länger schliefen als an den bisherigen Tagen auf ihrer langen Wanderung.

Sir William hatte am Abend recht bald gemerkt, dass seine Freunde nichts mit seinem Sprechgesang anfangen konnten. Er konnte jetzt sprechen aber die beiden Kinder verstanden ihn nicht. Das war zwar schade, aber leider nicht zu ändern. Er nahm es mit schweinischem Gleichmut hin und erzählte einfach, wie er die bisherige Reise erlebt hatte und wie oft er schon bittere Kräuter gefressen hatte, damit die Kinder nicht davon essen würden, denn ein Schwein hat einen robusteren Magen als ein Mensch - und für Zopf und Rike klang es wie das schönste Schlaflied. Zopf vermutete, dass sein Schwein schon immer sprechen konnte und erst auf dem langen Weg bis hierher den Mut gefunden hatte, das auch zu zeigen. Er konnte ja nicht wissen, dass sie genau in der Gegend waren, in der die Pomponeller vor sehr langer Zeit ihre Übersetzungsbrötchen den Dinosaurieren zum Fraß vorgeworfen hatten. Einige dieser Brötchen hatten überlebt. Sie sahen jetzt fast aus wie Pilze und als Sir William von einem dieser komischen Pilze genascht hatte, konnte er zu seiner großen Überraschung sprechen.

Am nächsten Morgen stand die Sonne schon recht hoch am Himmel als Rike von einem leichten Kitzeln wach wurde. Es war ein vorwitziger Sonnenstrahl, der zwischen einem Baum und einem Hügel hindurch genau in ihr Gesicht schien. Und zum ersten Mal seit Wochen war sie nicht schon beim Aufwachen traurig. Sie rüttelte Zopf an der Schulter, bis der blinzelte, aus seinem Schlafsack kroch und rief: „Guten Morgen, weltallerliebste Rike!“ Sie guckte etwas komisch und begann dann mit den Frühstücksvorbereitungen. Erst als sie gegessen hatten fiel ihr auf, dass Zopf nicht muffelig gewesen war. Das war er morgens eigentlich immer. „He, Zopf!“, rief sie. „Du muffelst doch sonst immer rum. Was ist los?“ – „Ich hab doch tatsächlich ganz vergessen zu muffeln! Na so was! Aber jetzt an die Arbeit: Wir bauen uns eine Hütte!“ – „Hurra!“ brüllte Rike so übermütig, das das Echo schallte und dann ging es los. Sie erkundeten den ganzen Tag lang die Umgebung und schließlich war für sie klar, dass der beste Platz für eine Hütte die kleine Ebene am Fuße des malerischen, halbkugeligen Berges war. Zopf hatte kurz überlegt, ob sie den Platz am Bach nehmen sollten, weil er dann eine Mühle betreiben könnte, die einige seiner Werkzeuge antreiben würde. Aber der Halbkugelberg war nicht weit weg und das Sonnenlicht war dort auf jeden Fall schöner. Abends schliefen sie zu einem neuen Schlaflied Sir Williams ein und erwachten am nächsten Morgen voller Tatendrang. Sir William steckte den Platz für die Hütte ab und Rike begann mit dem mitgebrachten Spaten den Boden zu glätten. Währenddessen fällte Zopf eine Menge Bäume, hackte die Äste ab und sägte die Stämme passend zurecht.

Am Abend fielen sie vor Erschöpfung in ihre Schlafsäcke. Dann träumten sie von niedlichen Drachen und kletternden Fischen.

Zopf erwachte vom Duft frisch gebackenen Brotes. Als er den Kopf aus seinem Schlafsack steckte, traute er seinen Augen nicht. Auf der Wiese vor ihnen lag ein rotkariertes Tuch, und darauf ein knuspriges Brot. Daneben stand ein Topf mit herrlichem Himbeergelee.

Zopf musste schlucken. Dann kniff er sich, weil er dachte, er träume noch. Als ihm klar wurde, dass er wirklich wach war, schaute sich Zopf misstrauisch um, dann weckte er vorsichtig Rike. Natürlich waren sie froh über das Geschenk. Nur von wem war das Brot? Es roch lecker. Aber es war von einem Fremden. Und sie wurden sicher beobachtet. Sie schauten sich noch mal gründlich um, standen auf und schauten hinter jeden Busch. Konnten sie hier bleiben? Wer hat das Brot gebracht? Es war frisch, also musste es hier in der Nähe gebacken worden sein. Wenn hier einer lebte, den sie noch nicht gesehen hatten, dann hatte der auf jeden Fall ein gutes Versteck. Aber warum musste er sich verstecken?

Alle diese Fragen sollten nicht lange unbeantwortet bleiben, denn aus dem nahen Wald kam ein großer Mann auf sie zu, der ihnen auf den ersten Blick sympathisch erschien. Er hatte ein langes Gesicht mit offenen, hellblauen Augen. Diese wurden von einer dicken, runden Brille umrahmt und große, abstehende Ohren hielten die Bügel der Brille. Unter einer gelben Zipfelmütze schaute eine freche Haartolle hervor. An seiner Kleidung und an seinen geschmeidigen Bewegungen konnte man erkennen, dass er gerne in der freien Natur war: die blaue Hose war aus einem festen Stoff gewebt, die Schuhe sahen einfach und stabil aber sehr bequem aus. Über seinem grünen Pullover hatte er ein violettes Halstuch gebunden. Und über seinem rechten Arm hing ein Korb, aus dem es dampfte.

„Hallo“, rief der Fremde schon von weitem und er hatte einen Akzent in seinem ansonsten perfekten norgrenländisch, der für Zopf und Rike ein bisschen seltsam klang. „Ich heiße Gustav, und ich freue mich, dass ihr mit dem Frühstück auf mich gewartet habt, ich habe mich nämlich extra beeilt.“ Zopf und Rike schauten sich überrascht an, aber Angst hatten sie keine mehr. Sie waren nur noch neugierig.

Gustav setzte sich zu ihnen und packte seinen Korb aus. Darinnen waren frische Eier, ein Glas Honig, ein Tontopf mit Butter und ein großer Laib Käse. Dann holte Gustav noch drei Becher raus und eine Kanne mit dampfendem Tee.

„Wohnst du hier in der Gegend?“ Zopf musste diese Frage zuallererst stellen, denn sie wollten sich ja auch hier niederlassen. „Ja, ich wohne dort hinten in dem kleinen Tal, aber noch nicht lange, erst seit einem halben Jahr. Sonst wohnt hier keiner.“ – „Und wieso lebst du hier so einsam? Das ist doch ziemlich langweilig und auch gefährlich!“ Rike würde niemals alleine leben wollen. Das wusste sie jetzt schon. Gustavs freundliches Gesicht wurde auf einmal sehr ernst. „Ich musste fliehen“, sagte er nur. Er aß erst mal eine dicke Scheibe Brot mit Käse. „Aber ich kenne euch“, das sagte er schon wieder lächelnd, noch mit fast vollem Mund. „Ihr seid Zopf und Rike, die Kinder des Königs.“ Dann fügte er hinzu: „Der arme, starke Knut.“ – „Was weißt du von meinem Vater – und was weißt du über uns?“ Rike war aufgesprungen. „Sag`s mir sofort!“ Ihre Augen funkelten und sie ballte die Fäuste. „Nur ruhig“, lachte Gustav. „Ich erzähle ja alles. Aber mit vollem Bauch werdet ihr auch die Geschichte besser verdauen.“

Sie waren wirklich sehr hungrig. Brot hatten sie zum letzten Mal gegessen, als sie erst drei Tage unterwegs waren. Dann waren ihre Vorräte aufgebraucht und sie ernährten sich von dem, was der Frühling in den Wäldern und Feldern von Norgrenland hervorbrachte. Sie kannten sich aus mit Essbarem weil sie schon vorher auf ihren kleinen und großen Ausflügen manche Pflanzen, die man essen konnte, kennen gelernt hatten und auch wussten, wie man sie zubereitet. In der Küche von Schloss Galdusar arbeitete ja schließlich die dicke Mestwina, die von vielen nur die „Kräuterhexe“ genannt wurde, und wenn Zopf und Rike früher in die Küche geschlichen waren, um etwas Süßes abzustauben, hatte sie ihnen nebenbei auch manchen Trick verraten, etwa wie man Löwenzahn kocht oder Gänseblümchensalat zubereitet. Jetzt aßen sie Gustavs Brot ratzeputz auf, kratzten den Marmeladentopf aus und ließen auch von dem Käse fast nichts übrig. „Halt, halt!“ lachte Gustav. „Ich fange besser an zu erzählen, sonst esst ihr noch meine Mütze und meine Schuhe!“.

Was sie nach dem leckeren Frühstück dann zu hören bekamen, verschlug ihnen fast den Atem.

Gustav hatte viel erlebt, nicht nur im letzten halben Jahr, sondern auch vorher. So wie Zopf und Rike musste auch er fliehen, und er hatte lange gebraucht, bis er die Spur seiner Verfolger abgeschüttelt hatte.

„Ich war im Haushalt von Raburak dem Bösen beschäftigt. Dort war ich für die Ausbildung seiner Kinder verantwortlich. Das war nicht immer schön, denn Raburak brüllte und benahm sich sehr unfreundlich, auch zu seiner Familie. Aber die Kinder waren nett und ich hatte mein Auskommen.“ Rike sagte: „Rosa und Richie sind ja auch ganz in Ordnung. Aber wir durften fast nie mit ihnen Spielen, Raburak wollte das nicht. Und jetzt fällt´s mir ein: dich habe ich damals auch ein oder zweimal gesehen. Du hattest immer lange violette Gewänder an und sahst damit ein bisschen aus wie ein Zauberer. Deshalb habe ich dich jetzt nicht erkannt.“ – „Du hast mich hier ja auch nicht erwartet. Raburak wollte übrigens, dass ich so ein komisches Zeugs trage. Das sieht würdevoller aus, meinte er – und ein kleines bisschen zaubern kann ich wohl auch. Aber das ist nicht der Rede wert.“

Viele Menschen in Norgrenland konnten noch ein bisschen Zaubern. Deshalb war Gustavs Bemerkung nicht überraschend für Zopf und Rike und sie gingen gar nicht weiter darauf ein. Sogar Rike konnte einen Stein drei Finger breit vom Boden hochzaubern. Die Zauberkunst war in Norgrenland nicht mehr üblich und auch nicht notwendig. Es gab schon lange keine Drachen oder Elfen mehr in der Nähe des Schlosses, und die Norgrenländer mussten es immer seltener tun. Warum sollte man zum Beispiel zaubern, wenn leckeres Gemüse für eine Suppe auf jedem Acker wächst. Dann muss man sich keine Suppe zaubern. Zumal es immer ein Risiko ist, weil niemals vorher feststeht, ob sie gelingt. Eine falsche Betonung des Zauberwortes und der Möhreneintopf schmeckt wie Marzipan mit Seife. Dann schon lieber selber kochen.

So kam es, dass höchstens mal eine alte Frau sich ihr Herdfeuer zauberte, wenn sie keine Lust hatte, in die Kälte zu gehen und Brennholz zu holen. Die Norgrenländer hatten schon seit ewigen Zeiten immer nur praktische Sachen gezaubert.

„Weil ich Rosa und Richie erzog, kannte ich jeden Winkel in Raburaks Rabenburg“, erzählte Gustav weiter. „Einmal fiel den beiden ein Ball über die Zinne in den Burghof und weil sie gerade ins Bett sollten, sagte ich, ich würde ihn nachher wieder holen. Als sie endlich schliefen, war es schon düster als ich auf den Hof ging. Da hörte ich auf einmal ein leises Rascheln und weil es verboten war, im Dunkeln noch im Burghof zu sein, schlüpfte ich schnell in eine Nische in der großen Mauer. Ich sah Raburak und er hatte den Arm um einen geheimnisvollen Fremden gelegt. Im schummrigen Licht der Fackeln hat mich Raburak wohl nicht gesehen und ich habe zufällig mit angehört, was er seinem geheimnisvollen Begleiter sagte. Ich kannte den Fremden und nannte ihn für mich immer „Spitz“, wegen seiner Ohren. Er kam immer nach dem Vollmond in die Burg und war noch in der gleichen Nacht wieder weg. Nur ganz wenige Bewohner der Burg wussten überhaupt, dass es ihn gibt und keiner hätte ihn bemerkt, denn er sah genauso aus, wie der Berater von Raburak. Es muss sein Zwillingsbruder gewesen sein. Aber jedes Mal, wenn er da war, passierte einige Tage später irgendetwas Böses oder Seltsames im Reich. Ich hatte ihn schon öfter kommen und wieder gehen sehen. Ich kann um den Vollmond herum immer sehr schlecht schlafen und saß dann oft ganz still im Fenster. Wenn er über den Hof schlich, mit seiner schwarzen Kapuze, die sein ganzes Gesicht verhüllte, lief mir jedes Mal ein Schauer den Rücken herunter. Dann tuschelte er mit Raburak und plötzlich war er weg. Wie vom Erdboden verschluckt. Diesmal konnte ich aber mehr hören, als nur Getuschel. Ich stand weniger als drei Schritte entfernt in dieser dunklen Nische und wenn ich mich fortgeschlichen hätte, hätten die beiden das bemerkt. Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich zu ducken und zu hoffen, dass mich keiner der beiden sah. Raburak gab nur kurze Anweisungen, und ich wusste gleich, dass es um König Knut ging - auch wenn sein Name nicht fiel. Aber Raburak gab Spitz eine Flasche mit einer rubinroten Flüssigkeit, die im Dämmerlicht funkelte und sagte, man sollte dieses Serum in den Mittagstee schütten. An mehreren Tagen immer ein bisschen, sonst wäre es zu stark. Natürlich wusste ich, dass der König als Teetrinker bekannt war. Und wer sollte sonst als Opfer für einen Anschlag in Frage kommen? Als ich alles gehört hatte und Spitz wieder verschwunden war, wartete ich ein Weilchen und ging dann vorsichtig zurück in mein Zimmer. In der Galerie kam mir Raburak entgegen und fragte barsch, wo ich denn gewesen wäre. Ich stotterte etwas von einem Ball und dann rutschte mit das mit dem Burghof raus und dass ich da den Ball geholt habe. Raburak sagte keinen Ton, aber in seinen Augen sah ich Misstrauen und auch Zorn. Da wusste ich, dass ich nicht länger auf der Rabenburg bleiben konnte. Am nächsten Morgen, ganz früh, kam ein Diener von Raburak zu mir und sagte ich solle sofort zum Herrn kommen. Ich hab´ gesagt, ich komme gleich. Dann habe ich schnell ein Bündel zusammengerafft und bin mit meinen paar Habseligkeiten über den geheimen Hinterausgang geflohen. Keinen Augenblick zu früh, denn als ich mich am Waldrand umdrehte, sah ich, das schon eine Wache aufgezogen war und den Ausgang versperrte. Gottseidank war die Wache einen Augenblick zu spät dran. Aber meine Flucht musste bald entdeckt sein, und ich machte, dass ich so schnell es geht weg kam.“

Zopf und Rike waren bei Gustavs Erzählung sehr nachdenklich geworden. Sie hatten ja mitbekommen, was anschließend am Königshof passierte. Da war Gustav schon längst über alle Berge. Er wusste also gar nicht, wie schlimm der König in falschen Verdacht geraten war. Denn dass Knut nichts für sein Verhalten konnte, das wussten sie jetzt mit Sicherheit.

Plötzlich kam Sir William hinter einem Busch hervor und hatte ein munteres Liedchen auf dem Rüssel. Sprechend kam er näher und überraschend stimmte Gustav in den Gesang ein. Zopf musste Rike stützen, die vor Schreck fast von ihrem Baumstamm gefallen wäre. Wie sehr hätten die beiden Kinder erst gestaunt, wenn sie gewusst hätten, dass Gustav die Ausführungen Sir Williams über die Unterschiede des Pflanzenwuchses hier und im Norden von Norgrenland kommentierte.

 zum fünfzehnten Kapitel 

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