
Zopf und Rike und die Schweine aus dem Weltraum
Das zweiundzwanzigste Kapitel, in welchem unsere Freunde schon wieder das Schlimmste befürchten, aber Ärwin noch einmal eine rettende Idee hat
"Wir halten uns bei der Besprechung zurück," sagte Gustav leise zu Zopf und Rike. "Ja, verflixt," sagte Rike. "Durch unseren wunderschönen Wagen haben wir leider schon zu viel Aufmerksamkeit erregt. Jetzt sollten wir wohl versuchen, nicht weiter aufzufallen, sonst wird unsere weitere Aufgabe hier immer schwerer." Also hörten sie sich erstmal nur an, was die anderen Schausteller zu sagen hatten. Die hatten schließlich schon viel Erfahrung, sie machten das ja fast jeden Tag. Aus den Gesprächen konnten die drei schon bald deutlich raushören, dass die Rabenburg ein sehr unbeliebter Ort war. Der einzige Grund, warum die meisten in der Truppe einmal im Jahr hierhin kamen, war das gute Geld, das ihnen bezahlt wurde. Denn selbst einem Schuft wie Raburak war wohl klar, dass er seinen Untertanen was bieten musste, wenn er nicht wollte, dass alle weggehen würden. Und dafür musste er dann auch viel Geld bezahlen. Und so ging das Gespräch der Zirkusleute auch hauptsächlich ums Geld. Die Karusellbesitzer überlegten, die Eintrittspreise zu erhöhen oder weniger Runden für ein Ticket zu drehen, die Wagenbesitzer, die eine Küche hatten, wollten die Preise auf ihren Speisekarten erhöhen und im Zirkuszelt sollte die Eintrittskarte für eine Vorstellung auch ein bisschen teurer werden. Da wurde Rike sehr ärgerlich und mischte sich doch ein. Gustav und Zopf konnten sie nicht schnell genug zurückhalten: "Ihr könnt doch nicht den armen Leuten hier das Geld aus der Tasche ziehen - die haben doch sonst nicht viel zu lachen!", schimpfte sie erbost. Alle Augen waren auf die kleine Prinzessin gerichtet. So ein mutiges Kind hatten die meisten noch nicht gesehen. Leider war Rike zu mutig gewesen, denn in dem Augenblick kam Raburak hinter einem Wagen hervor, begleitet von vier Rittern seiner Leibwache. Er erkannte Rike nicht, denn das letzte Mal, als er die Prinzessin vor drei Jahren gesehen hatte, war sie noch ein kleines Kind und spielte damals fast nur mit seinen Kindern, während er mit Knut dem ganz Starken und seinem Gefolge beschäftigt war. Außerdem war sie jetzt natürlich ungewöhnlich gekleidet.
"Wenn du schon so mutig bist," donnerte er, "dann lasst mich meine Zukunft sehen. Und zwar für den Preis, den ihr von meinen Untertanen auch nehmen wollt."
Gustav hatte sich sofort versteckt, als Raburak auftauchte. Der König würde ihn auf jeden Fall erkennen. Zopf und Rike wussten das natürlich. Sie waren sehr erschrocken über das Auftauchen des Tyrannen, aber sie mussten jetzt alleine aus dieser Klemme rauskommen. "Nun, edler König", stammelte Zopf, "die Zukunftsdeutung für Euch ist natürlich kostenlos und dann bitte ich Euch deshalb, hier vor diese Kugel zu kommen." Er und Rike hatten immer noch keine Ahnung, wie sie jetzt weitermachen sollten. Sie hatten so etwas noch nie gemacht, auch wenn sie ein kleines Bisschen geprobt hatten. Aber damit, dass Raburak ihr erster Kunde würde, hatten sie niemals gerechnet. In wenigen Minuten würden sie ganz sicher in den Kerker geworfen werden. Auch die anderen Zirkusleute waren beim Anblick des Königs erschrocken zurückgewichen, aber dann bildete sich ganz schnell vor dem Wahrsagerzelt ein Kreis von neugierigen Artistinnen, Handwerksleuten aus der Burg, Eisenbieger und Kraftathletinnen, Köchen und Bäuerinnen. Alle hatten sie Angst vor Raburak, waren aber dennoch sehr neugierig, was mit der frechen kleinen Wahrsagerin wohl geschehen würde.
Rike aber wurde nur noch mutiger. "Angriff ist die beste Verteidigung", dachte sie sich, und "Was soll mir schon passieren, dem zeige ich´s jetzt". Und sie rief mit lauter Stimme: "Herbeispaziert, wertes Publikum. Heute seht ihr eine Sondervorführung für den edlen und ehrenwerten Herrscher Raburak, den Großen." Dabei musste sie sich sehr zusammennehmen, denn in Wirklichkeit fand sie ihn ja gar nicht so edel und ehrenwert. Aber sie machte tapfer weiter: "Werter Herr Raburak, bitte schaut in diese Wunderkugel." Mit einer eleganten Bewegung zog sie dabei das Tuch von der Kugel und im gleichen Augenblick erklangen von den näherstehenden Zuschauern erstaunte Ohs und Ahs. Raburak wich erschreckt einen Schritt zurück, hatte sich jedoch sofort wieder in seiner Gewalt. Aus der Kristallkugel blickten ihn zwei riesige Augen an und dann wurde das Glas wieder trübe.
"Wat jiddet, Här Küning?" klang es dumpf aus der Kugel und Rike übersetzte geistesgegenwärtig die Worte: "Der Geist der Kugel wünscht, euer Begehren zu erfahren." Im Stillen freute sie sich sehr darüber, dass der Lungenfisch wieder aufgetaucht war. Sie hatte aber auch ein sehr mulmiges Gefühl, denn Ärwin war immer so vorlaut - fast so wie sie es war. "Was würde jetzt wohl geschehen?", fragte sie sich. Währenddessen verbeugte sich Zopf vor der Kugel und schwenkte das Tuch davor auf und ab. Auch er freute sich über Ärwins Auftauchen, versuchte aber, den König etwas abzulenken von dem ungewohnten Anblick.
"Nun," sprach Raburak jetzt schon leicht verunsichert, "gerne würde ich wissen, wie es um meine Herrschaft hier steht." - "Moment ens," kam es aus der Kugel, dann war es wieder still und in der trüben Kugel bewegten sich Schlieren und Luftblasen. "Et is nit esu kinderleich," grummelte Ärwin, "ävver los ens üvverlege...". Rike war jetzt voll bei der Sache. Sie fabulierte drauflos und zeigte dabei eine theaterreife Darbietung. "Herr Raburak," sagte sie, und obwohl die Wachen drohend guckten, weil sie schon wieder "Herr" anstatt "König" gesagt hatte, machte sie einfach weiter. "Herr Raburak, das Orakel wird euch einen tiefen Einblick in die Zukunft geben, aber es ist nicht immer leicht, seine Bedeutung zu verstehen." Bevor der verblüffte Raburak was sagen konnte, machte Ärwin weiter: "Jo, ich kann et at klor sinn." - Und Rike übersetzte die genuschelten Worte: "Das Orakel hat einen Wegweiser am Pfad der Zukunft entdeckt, werter Raburak, und wird die Worte jetzt kundtun."
"Is jo jot," murmelte Ärwin und dann lauter: "Jeckige Saache müsse passiere, bevur ihr vum Thron fallt, un dat eetste is: Lüstige Säue müsse vum Himmel kumme."
"Nun Herr König," sagte Rike, "das Orakel sieht euch fest auf dem Thron sitzen, denn ganz ungewöhnliche Dinge müssen passieren, bevor Eure Regierung endet." Raburak wollte schon drohend dazwischenreden, aber Rike fuhr fort: "Die geheimnisvolle Stimme aus der Kristallkugel sagte uns, dass diese unmögliche Sache geschehen muss, nämlich, dass gutgelaunte Schweine vom Himmel kommen." "Momang, dat is et noch nit all, et müsse och ne janze Püngel Eidechse kumme."
"Aber, werter König," sprach jetzt Zopf, während er wieder das Tuch über die Kugel legte, "das Orakel sieht noch weitere Dinge, die erst geschehen müssen, bevor Ihr vom Throne stürzt, und jetzt wird es noch seltsamer, denn es sagt, dass eine große Menge Eidechsen in die Burg kommen müssen."
"Dann," sprach Raburak erleichtert, "ist meine Herrschaft ja wohl gesichert, denn ich habe den Eidechsen das Leben auf der Burg sehr schwer gemacht und kaum eine ist mehr zu sehen." In der Menge wurde es unruhig, denn die meisten wollten, dass Raburak nicht mehr König wäre und aus der Rabenburg vertrieben würde. Als der König und die Wachen sich jedoch umdrehten, riefen alle erst zaghaft und dann immer lauter: "Es lebe der König!"
"Un noch ens," kam es unter dem Tuch hervor, "ers wenn ding Weckschnapp leer es, dann sit ehr fott." Jetzt bekam es Rike doch ein bisschen mit der Angst zu tun, aber sie sprach trotzdem ganz mutig: "Ein letztes noch, Herr König. Das Orakel sagt, dass erst, wenn Euer Gefängnis leer ist, ihr aus der Burg gejagt werdet." - "Ein ganz schön freches Orakel habt ihr da," polterte Raburak. "Aber mit diesen drei Bedingungen kann ich gut leben. Und wenn einer der hier versammelten Untertanen etwas dagegen hat, dann wird mein Gefängnis eher voller als leerer. Und hiermit verfüge ich, dass alle meine Untertanen dieses dreiste und respektlose Orakel umsonst besuchen dürfen. Dafür, dass ihr," und damit wendete er sich Zopf und Rike zu, "dass ihr mir jedoch so viel Spaß bereitet habt, bezahle ich alle Eintrittsgelder eurer Besucher aus meiner eigenen Tasche." Mit diesen Worten drehte er sich um und verließ, begleitet von seinen Wachen, den Zirkusplatz. Ein großer Jubel brandete auf, aber Raburak blickte sich nicht um. Das hätte er mal besser getan, denn dann hätte er gesehen, dass der Jubel nicht, wie er vermutete, ihm galt, sondern unseren mutigen Freunden. Sofort waren diese von den Menschen, die vorher mit offenen Mündern zugeschaut hatten, umringt. Auch Gustav kam langsam und unauffällig wieder aus seinem Versteck. Die meisten hatten gar nicht bemerkt, dass er beim Orakelspruch nicht dabei gewesen war, so sehr hatten Rike, Zopf und Ärwin sie in ihren Bann gezogen. Manche dachten wohl auch, dass er es gewesen war, der durch die Kugel zu Raburak gesprochen hatte. Denn keiner der Frauen, Männer und Kinder hier auf dem Platz konnte sich einen sprechenden Fisch auf dem Trockenen vorstellen. Ein munteres Erzählen begann, alle lobten die beiden Kinder und den vermeintlichen Stimmenimitator Gustav für das gerade erlebte Schauspiel. Nach und nach gingen aber alle wieder zu ihren Wagen oder an ihre Arbeitsplätze und auch unsere Freunde gingen schließlich wieder in ihre Unterkunft.
Hier hatten sie endlich wieder einen Platz wo sie ungestört miteinander reden konnten. "Wo bist du gewesen, Ärwin und wie hast du es geschafft, genau zur rechten Zeit wieder da zu sein?" Und Ärwin berichtete ihnen von seinen Erlebnissen. Er erzählte, dass er sich direkt nachdem sie in die Burg gefahren sind, aus dem Wagen fallen lies und in die nächste dunkle Ecke geschlichen war. "De Waache hätte sisch doch ze Tode verschreck wenn se misch jefunge hätten. Dat kunnt isch denne doch nit andonn." meinte er - und grinsend gaben unsere Freunde ihm recht. "Aber wo warst du denn die ganze Zeit?" fragte Rike. "Wir haben uns große Sorgen um dich gemacht." "Jo, isch wor mal he un mal do un isch han allerhand jesinn," und er berichtete von seiner Besichtigungstour. Am meisten Eindruck hatte bei ihm jedoch die Probe der Theatergruppe hinterlassen. In dem Theaterstück sagten drei Hexen einem bösen Herrscher die Zukunft voraus und auch diese Voraussagen klangen zunächst einmal so unmöglich, dass der gefährliche Tyrann sich in Sicherheit wähnte. Als dann alles eintraf, was die Hexen prophezeit hatten, wurde der König in dem Theaterstück tatsächlich gestürzt. "Dann wollen wir mal hoffen, das wir Raburak auf eine andere Art und Weise überlisten können, denn deine drei Voraussagen sind ja komplett unmöglich." sagte Gustav.
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