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Zopf und Rike und die Schweine aus dem Weltraum

 

Das elfte Kapitel, in welchem wir einige Personen kennen lernen, die gar nicht in unsere Geschichte passen – oder doch?

 

„Frederike Übermut!“ schallte es donnernd durch den Thronsaal. Rike zuckte erschreckt zusammen. Das kam plötzlich, laut und überraschend und - es war darüber hinaus schlichtweg falsch. Sie hieß Rike. Und nicht Frederike Übermut. Darauf legte sie großen Wert. Verärgert stampfte sie auf den Boden. Außerdem brüllte ihr Vater doch sonst nicht so, wenn sie, wie jetzt, nur mit ihren dicken Wollsocken an den Füßen über den spiegelblank gewienerten Parkettboden schlidderte, zehn oder zwölf Meter weit, vorbei an der langen Reihe ihrer Vorfahren. Bei genügend Anlauf und direkt nach dem Bohnern schaffte sie sogar fünfzehn Meter. Das war ihr Rekord. Fünfzehn Meter, das waren dreiundzwanzig Porträts ihrer Vorfahren, von denen sie ihren Namen herhatte. Ihren vollständigen, langen Namen. Den offiziellen von den zwei richtigen Namen, der aber bisher nur zwei Mal in ihrem Leben genannt worden war und der aufgeschrieben mehr als vierzig Seiten lang ist. Ja, wirklich vierzig Seiten, die der königliche Hofschreiber nach Rikes Geburt mit seinem fein gespitzten Federkiel in seiner schönsten Schrift in ein Buch geschrieben hatte, und die jetzt in einem ledernen Einband und mit dem goldenen Bärensiegel derer von Galdusar versehen, ganz vorne in der langen Reihe der Namensbücher in der großen Bibliothek von Schloss Galdusar stehen, bis irgendwann und irgendwo in ihrer Verwandtschaft das nächste Kind geboren wird. Das wird sicherlich noch etwas dauern, und dann wird ihr Name an zweiter Stelle der langen Reihe stehen. Aber ihr Name ist in rotem Leder gebunden, was seit jeher die Farbe der Thronerben von Galdusar ist.

Wenn er ausgesprochen wird, der Name – und das geschah bisher nur bei der Verkündung ihrer Geburt vom Balkon des Schlosses Galdusar vor Tausenden jubelnder Untertanen, wobei sie schlummernd in den Armen ihrer Mutter lag und nur kurz hickste bei dem Gejohle des Volkes - und fast genau acht Jahre später, als sie zur direkten Thronfolgerin ernannt wurde, damals nachdem ihre Mutter verschwunden war und nachdem auch nach vielen Wochen keine Spur von ihr entdeckt worden war. Ja, wenn er ausgesprochen wird, der Name - dann dauert es sogar drei Stunden, denn er lautet: „Frederike Übermut, die dunkelhäutige Tochter von Knut dem ganz Starken und seiner schönen Frau aus dem fernen Süden, welcher der Sohn von Harald dem Tapferen war, der das Reich einte, indem er die List seiner Frau anwandte und welcher der Sohn war von Karl dem Wohlhabenden mit dem so richtig dicken Bauch, der das zerbrochene Reich wieder aufbaute und nur seltsame Menschen und vernünftige Zwerge beschäftigte, welcher hinwiederum der Sohn von Hella der Zauderin war, deren Zögern einst das kleine Nebenkönigreich verloren gehen lies, das einmal die sieben Weisen beherbergt hatte, die die Gesetze der Götter in den nordischen Landen eingeführt hatten und für alle Menschen und Kobolde verbindlich werden ließen, welche die Tochter des dritten und schönsten Sohnes des alten, mondsüchtigen Zauberers war, der dem Geschlecht derer von Galdusar widerwillig das Zaubern beibrachte und außerdem einen ganz gewöhnlichen Vater hatte, der viel Wert darauf legte, dass über ihn nichts bekannt werden sollte der aber eine ganz außergewöhnliche Ehefrau hatte, welche die Tochter des kleinen Zwerges Alberich war, der mit dem Beil die Steinbuche gespalten hatte und das alte Gesetzbuch darunter fand, welches die Götter dort versteckt hatten, damit ein Würdiger es finde...“ und so weiter und noch dreitausendvierhundert Zeilen weiter und immer weiter. Aber ich will euch ja nicht eure kostbare Zeit stehlen. Jedenfalls geht der Name immer weiter zurück, bis zur Mutter des Donnergottes, die damals mit im Götterhimmel gewohnt hatte, und da war der Stammbaum dann wohl zwangsläufig zu Ende, denn die Götter leben ja seit jeher; - naja. Und jedes Mal, wenn man sie nur Rike nannte, hatte man einen Donnergott mit Missachtung gestraft. Das war Rike aber nur recht, denn sie hasste Gewitter.

Jetzt war sie allerdings mitten in einem Gewitter, ihr Vater donnerte schon wieder: „Frederike Übermut, lass dass!“. Schon wieder dieser Name, den sie nicht mochte. Sie hieß Rike, zum Donnerwetter, und wie ein begossener Pudel schlich sie betrübt aus dem Thronsaal. Was hatte er denn nun schon wieder? Das machte er erst seit kurzer Zeit, dieses humorlose, laute Schimpfen. Vorher hat er sich nie darüber aufgeregt, wenn sie durch den Thronsaal tobte, ihre eigenen, krakeligen Bilder unter die Porträts ihrer Vorfahren hängte oder den Thron mit ihren selbstgebastelten Gemüsegirlanden schmückte. Ihr Vater, Knut der ganz Starke, König von Norgrenland und Erbe von Galdusar, hatte dann bisher stets gelächelt und die Gemüsegirlanden hatte er im Laufe des Tages immer aufgegessen, bis auf die Pastinaken. Die bewahrte er für sein Lieblingspferd auf. Vor drei Jahren dann, als ihre Mutter plötzlich verschwand, da wurde er natürlich ganz anders, aber mittlerweile war es fast schon wieder wie früher.

Er war lange sehr traurig und verschlossen gewesen. Damals hatte er alles getan, um die Königin wiederzufinden. Seine besten Männer hatten das gesamte Reich durchsucht und nicht die geringste Spur gefunden. Er glaubte immer noch nicht, dass sie tot war, er hoffte immer, dass sie eines Tages vor dem Schloss stehen würde und alles wäre wieder wie früher. Und immer noch, nach so langer Zeit, waren regelmäßig einige Fährtensucher und Jäger des Königs an den Grenzen des Reiches unterwegs. Sie suchten nicht nur, sondern sie befragten auch jeden Reisenden, ob er eine schöne Frau gesehen habe, mit grünen Augen und schwarzer Haut und dazu, sehr untypisch, rotbraunen Haaren. Monatlich erstatteten die Reiter Bericht und immer war der König danach sehr ruhig und nachdenklich. Sein Reich regierte er auch nach ihrem Verschwinden besonnen und klug. Manchmal ging er abends wieder zu einem der vielen Feste seiner Untertanen, wie er und seine Königin es vorher stets gemeinsam getan hatten. Und fast immer amüsierte er sich dort auch, nicht so ausgelassen wie früher, aber er wollte seine Untertanen auch nicht enttäuschen. Bis auf die Tage nach den Berichten der Reiter war er fast wieder der Alte.

Aber seit ungefähr drei Monaten war der König ganz verändert. Seit dieser komische Stich sein Berater geworden war, so kam es Rike vor, war der König wie verwandelt. Sie erkannte ihn nicht wieder. Er ging zwar noch hin und wieder zu Festen, aber neulich hatte er seine Nachtwache kommen lassen, als es zu laut wurde und die Feier länger als bis zur dritten Abendstunde dauerte. Er, der früher immer der erste gewesen war, wenn es darum ging, einen Scherz zu machen, warf die Gaukler für drei Tage in den Kerker, wenn eine Parodie zu derb war und im Burggraben plantschte er schon gar nicht mehr, ja, er bestritt sogar, es jemals getan zu haben, obwohl Rike nicht wüsste, wo sie schwimmen gelernt haben sollte, wenn nicht von ihrem Vater und im Burggraben. Er wurde von Tag zu Tag ungemütlicher und miesepetriger.

Rike schloss die Türe leise hinter sich. Sie wollte ihn nicht noch mehr reizen, obwohl ihr nach einem deftigen Türenschlagen zumute war.

Als die große Saaltüre ins Schloss gefallen war, löste sich aus dem Schatten hinter dem Thron eine Gestalt und beugte sich zum König. „Du solltest sie wegschicken. Am besten in das alte Sommerschloss im Norden des Reiches. Sie könnte dort mit Zopf wohnen, diesem unsäglichen Möchtegernerfinder.“ Stich war es, der geheimnisvolle Berater des Königs, der diese Worte gesagt hatte, mit seiner vollen wohltönenden Stimme, die jetzt zwar leise war, aber dennoch zwingend, und der jeder schon wegen des Klanges sofort vertraute. Jeder der den neuen Ratgeber des Königs hörte, wollte ihm sofort gehorchen, und tun, was er sagte. Die Stimme hatte einen Zauber, dem sich keiner entziehen konnte. Keiner machte den Berater für die Veränderung des Königs verantwortlich, alle dachten, die Trauer hätte ihn so seltsam werden lassen und man hoffte nur, jetzt müsse es aber mal ein Ende haben damit und er werde sich sicher bald wieder fangen, wenn nur der sympathische neue Berater den König wieder auf andere Gedanken gebracht haben würde oder er endlich eine neue Frau gefunden haben würde.

Nur Rike mochte Stich nicht. Sie hörte nicht nur auf den Klang der Stimme, sondern hatte ihm auch in die Augen geschaut. Und die hellgrünen, fast gelben Augen passten nicht zur Stimme und auch nicht zur gesamten Erscheinung.

Stich war nicht sonderlich groß, eher durchschnittlich, aber er hielt sich sehr aufrecht und strahlte deshalb eine Autorität aus, der man kaum widerstehen konnte. Seine Kleidung war sauber und einfach, aber aus bestem Tuch und die Nadel, die den schlichten braunen Umhang zusammenhielt, war mit einem Diamanten besetzt. Sonst trug er keinen Schmuck. Seine dunklen, halblangen und glatten Haare umrahmten ein gerades, schmales und sehr blasses Gesicht und seine spitzen Ohren tauchten nur manchmal zwischen den Haaren auf. Dann strich er aber sofort mit den Fingern durch die Haare und die Ohren verschwanden wieder, wie ein kurzer Spuk. So als wären sie niemals zu sehen gewesen. Stich hatte eine gerade Nase und schöne, volle Lippen die sehr gut zur sonoren, einschmeichelnden Stimme passten. Anders als alle anderen Männer in Norgrenland hatte er keinen Bart und sah deshalb sehr friedlich aus. Die Menschen im Schloss und im Umland waren allein durch dieses Erscheinungsbild schon sehr angetan von ihm und beglückwünschten den König insgeheim zu seinem neuen Berater. Aber Rike hatte ihm auch in die Augen geschaut und seitdem traute sie ihm nicht über den Weg. Die Augen hatten einen verschlagenen Ausdruck, den der Berater zwar durch häufiges Niederschlagen der Augenlider zu zerstreuen suchte, aber bei der Tochter des Königs war es ihm nicht gelungen. Das spürte er wohl und deshalb wollte er sie aus dem Weg haben.

Das Sommerschloss im hohen Norden des Reiches als Aufenthalt für Rike und ihren Freund vorzuschlagen, war auch wirklich eine gute Idee, dazu würde er den König mit Leichtigkeit bewegen können, denn dort wohnte der Bruder des Königs, Raburak, und zu seinem Haushalt gehörte ein gebildeter Mann, der die Kinder Raburaks erzog. Den wollte Stich dem König als Hauslehrer empfehlen - und dann, wenn Rike und ihr komischer Freund dort wären, dann hätte er freie Bahn.

Rike schlich indessen verärgert durch die Burg. Sie schaute in die Küche, aber Mestwina, die dicke Köchin war nicht da. Schade, ein leckeres Butterbrot hätte sie jetzt etwas aufgeheitert. Sie verknotete also nur die Geschirrtücher und verließ die Küche wieder. Hinter der Küche ging sie in den Speisesaal und versteckte beim Durchqueren des großen Saales drei Gabeln. Jetzt ging es ihr schon ein bisschen besser. Dann verließ sie das große Nebengebäude und schlenderte über den Hof. Schloss Galdusar war wunderschön, aber Rike hatte überhaupt keinen Blick dafür übrig. Nicht für die uralten Brunnen, aus denen schon seit Jahrhunderten Wasser sprudelte und auch nicht für die Blumenbeete die durch die regelmäßige Wassergabe immer in einem satten Grün standen und fast das ganze Jahr über irgendwelche Blüten zeigten. Das gab es in dieser Gegend sonst nirgendwo. Sie schlurfte nur verärgert durch die Allee, die ihr Ur-ur-ur-ur-urgroßvater angelegt hatte und deren riesige, knorrige  Walnussbäume schon die ersten Blattknospen zeigten und das Licht der Vormittagssonne ganz lieblich filterten. Sie ging ganz in Gedanken zum Nordbrunnen und dann nach links zum Nebentrakt. Erst als sie das Tor der inneren Burg durchschritten hatte, schaute sie auf.

Die Weite der Ebene, war überwältigend und das geschäftige Treiben auf den Feldern, das Klappern der Mühle und das Hämmern aus der Schmiede, brachten sie wieder zurück in die Wirklichkeit. Sie war natürlich fast automatisch zum Rosenschuppen gegangen, direkt unterhalb der Burgmauer, wo ihr Freund Zopf schon seit zwei Tagen bastelte, klopfte und sägte. Er war sicher wieder mit einer wichtigen Erfindung zu Gange und wollte nicht gestört werden. Aber das war ihr jetzt egal. Sie musste ihren Ärger loswerden und öffnete deshalb schnell die knorrige Holztür.

„Vorsicht!“ hörte sie Zopf rufen und dann knallte es auch schon. Ein heller Blitz kam aus dem hinteren Raum und dann weißer Qualm. Als sich der Nebel im Nebenraum lichtete, stand Zopf im Türrahmen, auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, der zwischen Verärgerung und Lachen wechselte. Er schaute an sich herunter, dann überwog das Lachen. Zopf sah sehr zerrupft und dreckig aus, ganz anders als sonst. Er sah zwar sonst auch immer sehr unordentlich aus, aber Rike kannte schon die Unterschiede. Unordentlich an ihm war eigentlich immer, dass er alles Mögliche dabei hatte, in seiner geräumigen Latzhose. Aus jeder der vielen Taschen schaute etwas heraus. Aus seiner Brusttasche guckte ein Hammer und ein Maßband, in seiner rechten Seitentasche steckte ein riesiges Tuch und beulte sie aus, in den anderen Taschen klimperten Nägel und Steinchen. Er hatte stets einen kompletten Werkzeugkasten in seinen Taschen. Im schmalen Ledergürtel steckten eine Zange und ein kurzer Metallstab mit selbstgeschnitztem Griff und auf seinem Kopf saß ein oranger Wickingerhelm, den er einmal von einem Knappen geschenkt bekommen hatte weil er geholfen hatte, die Rüstung von dessen Ritter zu flicken. Der Helm war natürlich nicht orange gewesen, kein Ritterhelm ist orange. Aber Zopf hatte ihn orange gestrichen, damit man ihn dann schneller finden konnte, wenn er mal verschüttet werden sollte, bei einem seiner vielen gefährlichen Experimente. An beiden Seiten des Helmes hatte er außerdem Kerzenhalter angebracht, damit er auch im Dunklen arbeiten konnte. Die Kerzenhalter waren jetzt leer, wohl weil er mit explosiven Stoffen hantierte, aber hinten unter dem Helm schaute sein Zopf hervor, wie immer. Dieser Zopf hatte ihm seinen Namen eingebracht und Rike konnte an dessen Zustand immer erkennen, wie ihr Freund gelaunt war. Wenn der Zopf sauber unter dem Helm hervorlugte konnte man davon ausgehen, dass er guter Dinge war und außerdem vielleicht eine Arbeitspause eingelegt hatte. Dann waren auch die Taschen nicht so voll. Wenn er aber arbeitete war der Zopf immer unordentlich.

Aber auch da gab es feine Unterschiede. Am besten war es, wenn der Zopf unordentlich zur Seite zeigte. Dann hatte er meistens ganz konzentriert und lange an einer erfolgreichen Sache gebastelt und keine Zeit gehabt ihn neu zu binden. Er schob ihn dann mit einer meist dreckigen Hand nur unaufmerksam zur Seite und lies ihn dort hängen. Wenn die Haare im Zopf in alle Richtungen wiesen, war Vorsicht angebracht. Dann war er mit seinen Experimenten in einer Sackgasse gelandet und hatte seine Haare nervös immer wieder woanders hingezupft, natürlich auch das ganz in Gedanken und ohne Absicht.

Und so ungefähr sah der Zopf jetzt aus. Rike sah das, als ihr Freund sich umdrehte und zurück in die Werkstatt ging. Sie folgte ihm. Na gut, dann waren sie halt beide nicht so gut gelaunt. Als sie sich an das Licht in dem kleinen Raum gewöhnt hatte und sich auch der Rauch etwas verzogen hatte, schaute sie sich um. Dort wo die Werkbank stand war alles schwarz, Scherben lagen verstreut auf dem Arbeitsplatz, aber weiter war nichts passiert. Zopf hatte wie üblich seinen Schutzschirm vor sein Experiment gestellt, so dass der Rest seiner Werkstatt noch leidlich intakt war. Wahrscheinlich hatte er nur – wie immer – über den Schutzschirm gespingst und dabei ein bisschen etwas abgekriegt. Selber schuld. Wenn man schon einen Schutz aufbaut, muss man sich auch schützen lassen.

Im hinteren Teil des Raumes standen zwei wackelige Stühle und ein Tisch. Rike nahm die Kanne, die auf dem Wandregal stand und füllte sie mit Wasser. Dann stellte sie die Kanne aufs Feuer. Während das Wasser langsam heiß wurde beruhigte sie sich und als sie Zopf ansah, bemerkte sie, dass es mit ihm genauso war. Als das Wasser kochte nahm sie ein paar Kräuter aus einem Beutel, der am Regal hing und braute einen Tee.

Fünf Minuten hatten sie beide geschwiegen und sich dabei immer wieder verstohlen angeschaut. Schließlich sagte Rike: „Ich will hier weg.“ Zopf schaute sie mit großen Augen an. „Warum?“ fragte er dann, „wo sollen wir denn hingehen und warum willst du jetzt schon weg?“ Rike trank einen Schluck aus ihrer heißen Tasse. „Du hast also auch schon daran gedacht, wegzugehen? Du hast noch niemals was davon gesagt.“ „Ich war mir noch nicht sicher. Dein Vater ist sehr seltsam geworden, aber es ist immerhin dein Vater und deshalb habe ich bisher noch nichts gesagt. Nur, mittlerweile wird es auch für mich ungemütlich. Stich hat mich im Verdacht, zu spionieren und gewissermaßen hat er sogar recht, denn ich habe eine Abhöreinrichtung gebaut...“. Weiter kam er nicht, denn Rike unterbrach ihn erstaunt. „Du hast was? Wie und warum willst du denn so etwas gebaut haben?“ „Ich will nicht, ich habe. Und wenn du nicht gerade die Schallleitflüssigkeit zum Explodieren gebracht hättest, wäre sie schon ganz fertig“, sagte Zopf leise. Und dann fügte er hinzu: „Es ist, glaube ich, eine sehr gute Idee.“

Rike trank hastig den letzten Schluck aus ihrem Becher. Dann stand sie schnell auf und ging unruhig hin und her, während Zopf noch trank und schwieg. „Nun sag schon, was hast du gemacht und was hast du herausgefunden?“ „Es war ein Zufall. Ich sitze doch immer in dem alten dichten Baum vor dem Nordtor. Da oben kann man weit gucken und man wird trotzdem nicht gesehen. Außerdem glaubt keiner, dass man da hoch kommt. Das geht auch nur mit meiner selbst konstruierten Kletterhilfe...“. „Ich weiß, diese komischen Haken, aber spann mich nicht auf die Folter, erzähl endlich.“ – „Ja, ja, ja. Es war schon fast Abend und dämmerig. Ich saß also oben und überlegte, da kam Raburak aus dem Gebüsch und machte ein Geräusch wie eine Ente. Fast im gleichen Moment kam aus dem Schatten des Nordtores Stich. Der ist ganz gefährlich. Er schleicht immer und man sieht ihn erst im letzten Moment. Die beiden gaben sich die Hand und redeten miteinander. Ich konnte nicht viel verstehen, denn da oben ist man sehr weit weg und die beiden flüsterten leise mit einander.“ „Raburak“, murmelte Rike nachdenklich. „Mein Onkel. Damals, als meine Mutter verschwand, wollte er König werden. Aber sein Schloss ist drei Tagereisen weit weg im Norden. Er kommt nur zweimal im Jahr hierhin und warum hat er meinen Vater nicht besucht und woher kennt er Stich? Und… “ „…und die beiden flüsterten lange miteinander.“ Unterbrach Zopf sie ungeduldig. „Dann gab Raburak Stich eine Flasche und dann verstand ich doch ein paar Worte. Raburak sagte etwas und Stich fragte: „…in den Tee?“ und dann sagte dein Onkel noch „Also, bis zum nächsten Vollmond.“ Und dann war er weg. Stich verschwand auch gleich und ich wartete sicherheitshalber noch etwas und kletterte erst wieder runter, als es ganz dunkel war. Das war vorgestern Abend.“  „Aber du hast doch gesagt, du hättest etwas gebaut?“ Rike hatte noch immer nicht verstanden, was Zopf sagen wollte. „Seit vorgestern baue ich. Und ich will es beim nächsten Mal ausprobieren, damit wir Bescheid wissen, denn viel habe ich ja noch nicht gehört.“ Dann zeigte er Rike was er baute.

Rike verstand zunächst überhaupt nichts. Erst mal war es sehr schwer, in dem Chaos, das die Explosion angerichtet hatte, irgendwas zu erkennen. Aber sie war ja nicht dumm und außerdem erklärte Zopf es ihr. Ein langes Rohr, aus zwei hohlen Stämmen zusammengefügt, lag in der Mitte der Werkstatt. „Das ist die Abhörmaschine“, sagte Zopf. „Sie muss aus Baumteilen bestehen, damit man sie am Baum nicht erkennt. Es ist sogar das gleiche Holz. Und innen wird es mit einer Flüssigkeit ausgekleidet, die ich erfunden habe. Sie ist leider gefährlich und explodiert manchmal, aber man hört damit wirklich sehr gut.“ Rike hatte verstanden. Das Rohr war ein Hörrohr und die Flüssigkeit bildete eine Schicht, die die Geräusche besonders gut durch das Rohr leitete. Sie fing an, die Werkstatt aufzuräumen und Zopf half ihr dabei. Als es wieder einigermaßen sauber war, machten sich die beiden Freunde gemeinsam an die weitere Arbeit. Dabei sponnen sie ihre Unterhaltung weiter: „In den Tee? – was soll das bedeuten? Will Stich irgendjemandem etwas in den Tee tun?“ – „Das ist doch sonnenklar. Dieser Irgendjemand ist dein Vater und das, was in den Tee soll, ist in der Flasche. Raburak ist sehr vertraut mit Kräutern und dein Vater hat sich in letzter Zeit sehr verändert. Wer weiß, was er bisher gekriegt hat.“ Rike war erst wütend, dann erstaunt und schließlich sogar ein bisschen erleichtert. Zopf konnte das nacheinander in ihrem Gesicht ablesen. Sie fragte: “Du meinst mein Vater kann gar nichts dafür, dass er so komisch geworden ist?“  - „Nein, denn er wird sich wohl nur langsam verändern und wir können nichts dagegen tun. Und beweisen können wir auch nichts.“

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